Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Angst vor Jobverlust bringt Populisten nicht immer Stimmen
Jenaer Wissenschaftlerin warnt vor Panikmache. Persönliche Einstellungen beeinflussen oft mehr als wirtschaftlicher Status
Sebastian Haak
Jena. Angst vor Arbeitslosigkeit führt nach Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Marion Reiser nicht automatisch zu besseren Wahlergebnissen rechtsextremer oder populistischer Parteien.
Es gebe eine Vielzahl von Faktoren, die Menschen dazu bewegten, einer Partei ihre Stimme zu geben – oder auch nicht, sagte Reiser, die an der Friedrich-Schiller-Universität Jena den Lehrstuhl für das politische System der Bundesrepublik Deutschland führt. „Aus Einstellungsdaten kann man nur sehr begrenzt auf das Wahlverhalten schließen“, sagte sie.
Der Mitte April vorgestellte Thüringen-Monitor hatte gezeigt, dass Menschen, die ihren Job bedroht sehen, besonders empfänglich für rechtsextremes oder rechtspopulistisches Gedankengut sind. „Die Furcht vor einem Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung wirkt sich verstärkend auf rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen aus“, heißt es in der Studie. Wenn die Beschäftigten in einem Unternehmen dagegen etwa durch einen Betriebsrat Einfluss zum Beispiel auf ihre Arbeitsbedingungen hätten, so wirke dies hemmend auf derlei Einstellungen. Laut Reiser gibt es ein „ganzes Bündel von Einflussfaktoren, es ist komplex“.
Für die repräsentative Erhebung wurden im September und November 2023 etwa 1000 Menschen befragt, die bei Bundestagswahlen wahlberechtigt sind. Die Befragungen zum Thüringen Monitor werden seit 2000 durchgeführt. Damit bieten die Daten einen LangzeitEinblick. Reiser ist an der Uni Jena
Direktorin des Instituts für Politikwissenschaft und wissenschaftliche Leiterin des Thüringen-Monitors.
Neben der inhaltlichen Nähe zu zumindest einem Teil der Programmatik einer Partei spielt laut Reiser für viele Menschen bei ihrer Wahlentscheidung die Frage eine Rolle, ob sie damit Protest ausdrücken könnten oder welche Parteien sie in der Vergangenheit gewählt haben.
Ausweislich der Studie befürchten sieben Prozent der Berufstätigen im Freistaat, sie könnten wegen der Digitalisierung ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Autoren hatten angesichts dieser Zahlen bereits gewarnt, viele Menschen im Land würden die Veränderungen unterschätzen, die die Digitalisierung für den Arbeitsmarkt bedeutet. Ein Grund dafür liege in der angespannten Fachkräftesituation auf dem Arbeitsmarkt, hatte Reiser gesagt. Weil viele Menschen spürten, dass praktisch überall Personal fehle, könnten sie sich offenbar nicht vorstellen, dass viele Jobs demnächst überflüssig sein würden.
Reiser sagte nun, der Einfluss ökonomischer Krisen auf politische Einstellungen dürfe nicht überschätzt werden. Wenn Menschen autoritären Vorstellungen anhingen, dann sei das für deren politische Einstellungen häufig von größerer Relevanz als die Frage ihres wirtschaftlichen Status. dpa