Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Wirbel um Armenier-resolution
Kanzlerin bekennt sich dazu, hält sie aber nicht für juristisch verbindlich – Bald trifft sie Erdogan
Berlin. In den deutsch-türkischen Beziehungen schlagen die Wogen derzeit hoch. Mitten in die politische Erregung hinein platzte am Freitag ein Artikel von „Spiegel Online“. Unter der Überschrift „Merkel geht auf Erdogans Forderung ein“stand: „Die Bundesregierung will sich von der Armenien-resolution des Bundestages distanzieren.“
Die Reaktionen kamen sofort und heftig. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zeigte sich im fernen Tokio „überrascht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe offensichtlich „völlig den Kompass verloren“, schimpfte der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch.
Am 2. Juni hatte der Bundestag die Vertreibung und Ermordung von Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als „Völkermord“eingestuft. Lammert hatte sich damals ebenso zu dem politisch aufgeladenen V-wort bekannt wie Bundespräsident Joachim Gauck. Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Außenminister Frank-walter Steinmeier (SPD) waren der Abstimmung ferngeblieben Die türkische Regierung schäumte. Sie zog ihren Botschafter aus Berlin ab. Bundestagsabgeordnete hatten auf der Luftwaffenbasis Incirlik, wo rund 200 deutsche Soldaten stationiert sind, ab sofort Hausverbot. Danach machten Berichte die Runde, dass die Bundeswehr nach einem Ausweichquartier auf Zypern oder in Jordanien suche.
Regierungssprecher Steffen Seibert war am Freitag sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten. Der Vorwurf, dass sich das Kabinett von der Armenien-resolution distanziere, greife ins Leere. „Davon kann kein Rede sein“, erklärte er. Der Bundestag habe in der Resolution Auffassungen zu politischen Fragen zum Ausdruck gebracht, „ohne dass diese rechtsverbindlich sind“. Was „Völkermord“sei und was nicht, sei Sache der Gerichte. Außenamtssprecher Martin Schäfer betonte die Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen und kündigte an, dass die Türkei bald einen neuen Botschafter nach Berlin entsenden werde. Zudem gehe man davon aus, dass Abgeordnete „in Kürze“die Soldaten in Incirlik besuchen dürften. Alles nur ein Sturm im Wasserglas? Nicht ganz. In Ankara hat man die Antwort der Bundesregierung auf den Wirbel durchaus wohlwollend beobachtet. „Wir sehen das generell eher positiv“, sagte der Pressesprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, der TA.
„Wir schätzen Seiberts Aussage, dass den Gerichten die Entscheidung obliegt, was Völkermord ist – und nicht dem Parlament“, so Sogukoglu. „Darüber hinaus stimmen wir Seiberts Bewertung zu, dass die Bundesregierung nicht immer die gleiche Meinung haben muss wie der Bundestag.“Seiberts Distanzierung von der vermeintlichen Distanzierung wurde als Entspannungssignal verstanden.
Der Ostthüringer Cdu-bundestagsabgeordnete Albert Weiler, zugleich Präsident des Deutsch-armenischen Forums, kommentierte die „Falschmeldung des Spiegels“sei einfach nur schwer ertragbar. Es liege nahe, dass man den derzeitigen Besuch des armenischen Außenministers in Deutschland kompromittieren wolle.