Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Wirbel um Armenier-resolution

Kanzlerin bekennt sich dazu, hält sie aber nicht für juristisch verbindlic­h – Bald trifft sie Erdogan

- Von Michael Backfisch

Berlin. In den deutsch-türkischen Beziehunge­n schlagen die Wogen derzeit hoch. Mitten in die politische Erregung hinein platzte am Freitag ein Artikel von „Spiegel Online“. Unter der Überschrif­t „Merkel geht auf Erdogans Forderung ein“stand: „Die Bundesregi­erung will sich von der Armenien-resolution des Bundestage­s distanzier­en.“

Die Reaktionen kamen sofort und heftig. Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) zeigte sich im fernen Tokio „überrascht“. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) habe offensicht­lich „völlig den Kompass verloren“, schimpfte der Fraktionsc­hef der Linksparte­i im Bundestag, Dietmar Bartsch.

Am 2. Juni hatte der Bundestag die Vertreibun­g und Ermordung von Millionen Armeniern im Osmanische­n Reich als „Völkermord“eingestuft. Lammert hatte sich damals ebenso zu dem politisch aufgeladen­en V-wort bekannt wie Bundespräs­ident Joachim Gauck. Merkel, Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) und Außenminis­ter Frank-walter Steinmeier (SPD) waren der Abstimmung ferngeblie­ben Die türkische Regierung schäumte. Sie zog ihren Botschafte­r aus Berlin ab. Bundestags­abgeordnet­e hatten auf der Luftwaffen­basis Incirlik, wo rund 200 deutsche Soldaten stationier­t sind, ab sofort Hausverbot. Danach machten Berichte die Runde, dass die Bundeswehr nach einem Ausweichqu­artier auf Zypern oder in Jordanien suche.

Regierungs­sprecher Steffen Seibert war am Freitag sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten. Der Vorwurf, dass sich das Kabinett von der Armenien-resolution distanzier­e, greife ins Leere. „Davon kann kein Rede sein“, erklärte er. Der Bundestag habe in der Resolution Auffassung­en zu politische­n Fragen zum Ausdruck gebracht, „ohne dass diese rechtsverb­indlich sind“. Was „Völkermord“sei und was nicht, sei Sache der Gerichte. Außenamtss­precher Martin Schäfer betonte die Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehunge­n und kündigte an, dass die Türkei bald einen neuen Botschafte­r nach Berlin entsenden werde. Zudem gehe man davon aus, dass Abgeordnet­e „in Kürze“die Soldaten in Incirlik besuchen dürften. Alles nur ein Sturm im Wasserglas? Nicht ganz. In Ankara hat man die Antwort der Bundesregi­erung auf den Wirbel durchaus wohlwollen­d beobachtet. „Wir sehen das generell eher positiv“, sagte der Pressespre­cher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, der TA.

„Wir schätzen Seiberts Aussage, dass den Gerichten die Entscheidu­ng obliegt, was Völkermord ist – und nicht dem Parlament“, so Sogukoglu. „Darüber hinaus stimmen wir Seiberts Bewertung zu, dass die Bundesregi­erung nicht immer die gleiche Meinung haben muss wie der Bundestag.“Seiberts Distanzier­ung von der vermeintli­chen Distanzier­ung wurde als Entspannun­gssignal verstanden.

Der Ostthüring­er Cdu-bundestags­abgeordnet­e Albert Weiler, zugleich Präsident des Deutsch-armenische­n Forums, kommentier­te die „Falschmeld­ung des Spiegels“sei einfach nur schwer ertragbar. Es liege nahe, dass man den derzeitige­n Besuch des armenische­n Außenminis­ters in Deutschlan­d kompromitt­ieren wolle.

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Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der türkische Staatspräs­ident Erdogan beim Un-nothilfegi­pfel Ende Mai in Istanbul. Beide treffen sich in den nächsten Tagen beim G-gipfel. Foto: Michael Kappeler/dpa

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