Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
„Die Burka ist ein Symbol der Unterdrückung“
Thüringens Landtagspräsident Christian Carius plädiert im Streit um ein Verschleierungsverbot in Deutschland für einen Mittelweg
Juden etwa die Kippa oder bei Nonnen die zugehörige Tracht. Wenn also eine Frau mit Burka oder Nikab bei den Domstufenfestspielen in Erfurt auftauchen würde, wäre ich zwar sehr irritiert. Ein Verbot ist aber verfassungsrechtlich problematisch. Hinzu kommt: Wie sollte man es durchsetzen?
So, wie die Polizei einen nackten Menschen wegen Störung der öffentlichen Ordnung abführen würde. Ja, aber Nacktheit ist nun mal kein Glaubensbekenntnis – und Nudismus keine Religion.
Islamismus aber auch nicht. Die Regeln des Islam schreiben die Vollverschleierung nicht vor. Die Männer tun es. Deshalb bin ich ja auch für eine gesellschaftliche Ächtung der Vollverschleierung insgesamt – und darüber hinaus für ein Verbot in öffentlichen Gebäuden, Parlamenten oder am Steuer eines Autos. Eine verschleierte Gesellschaft verliert ihre Offenheit – und verschleierte Menschen schnell ihre Freiheit.
Zur im Grundgesetz garantierten Freiheit gehört auch die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Was ist bitte schön damit? Ich sage sehr deutlich: Nikab und Burka sind für mich Symbole der Unterdrückung und widersprechen meinem Verständnis von Freiheit und Gleichberechtigung. Deshalb finde ich es auch gut, dass wir diese Debatte jetzt führen. Aber wir müssen dabei das richtige Maß halten und eine rechtliche Güterabwägung durchführen. Das heißt? Das heißt, dass auf der einen Seite das Recht auf religiöse Entfaltung jedes Einzelnen unverletzlich ist. Auf der anderen Seite findet dieses Recht dort seine Grenze, wo es andere Rechte verletzt, wo es Identifizierung und Kommunikation verhindert, wo es verunsichert und spaltet. Wer die Freiheiten unserer Gesellschaft in Anspruch nimmt, muss sich in der Öffentlichkeit auch an die Regeln halten, die unsere Freiheit prägen und lebenswert machen.
Regeln, die übrigens teilweise gar nicht so alt sind. Frauen mussten in der Bundesrepublik noch bis in die 1970er-jahren ihre Ehemänner fragen, ob sie arbeiten dürfen. Ist bei dem Streit nicht auch einige Heuchelei dabei? Dieser Paragraf war zuletzt nur noch Theorie, die wenig mit der Praxis zu tun hatte. Richtig ist aber, dass die Frauenrechte, die im Westen jetzt selbstverständlich wirken, erst im vergangenen Jahrhundert erkämpft wurden. Die Einwanderung und deren Folgen führen uns nun vor, dass diese Rechte verteidigt werden müssen. Konsequent – aber ohne Schaum vor dem Mund.
Wie kommt es eigentlich, dass einige Linke und Grüne, die sonst am lautesten für Frauenrechte eintreten, jetzt das Tragen von Burka und Nikab fast schon in Ordnung finden? Das ist eine interessante Beobachtung, die ich selbst schon gemacht habe, auch im Landtag. So wie die AFD das Thema auf ihre Weise ideologisiert und missbraucht, stehen jetzt manchen Linken und Grünen die eigenen Dogmen im Wege – und ihre Gewohnheit, jede Kritik an Zuwanderern unter den Generalverdacht des Rassismus zu stellen. Der Vorwurf der Doppelmoral liegt da nicht fern.
Christian Carius (CDU) ist seit Herbst 2014 Präsident des Thüringer Landtages. Zuvor war der 39-Jährige Minister für Bau und Verkehr.
Pflegen Sie nicht selbst diese Doppelmoral, wenn sie Wiebke Muhsal des Saales verweisen, bei anderen Verstößen aber milder reagieren? Ich bin gewiss nicht frei von Fehlern. Der Vorwurf der Doppelmoral geht hier aber fehl. Für alle Abgeordneten gelten dieselben Regeln. Frau Muhsal war wegen des Vollschleiers schlicht nicht als Frau Muhsal zu erkennen, weshalb ich sie erst einmal aufforderte, den Saal zu verlassen und den Nikab auszuziehen. Gewöhnlich bitten wir Abgeordnete, die zum Beispiel T-shirts mit politischen Parolen tragen, in einem ersten Schritt, die Aufschriften zu bedecken. Erst wenn dies nicht geschieht, erteilen wir auch einen Ordnungsruf. Einen Tag vor Wiebke Muhsal hat es ja die Linke-abgeordnete Berninger erwischt . . .
. . . die auf einem T-shirt für Asyl warb. Mit ihr solidarisierten sich danach etliche Linke und Grüne, die aber gleichzeitig Muhsals Auftritt schändlich fanden. Tja, das Thema Doppelmoral. . . Ich bin mir aber mit meinen beiden Vizepräsidenten von Linke und SPD einig, dass wir künftig noch strenger durchgreifen müssen. Die Würde des höchsten Verfassungsorgans in Thüringen muss gewahrt bleiben.