Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Burkini gegen Bikini
Der Ganzkörperbadeanzug spaltet die französische Republik. Nachdem das oberste Gericht ein Verbot aufhob, hat sich die politische Debatte verstärkt
Erfurt. Neulich, bei einer Veranstaltung in Berlin, wurde die Thüringer Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-eckardt von einem Jugendlichen gefragt, was sie denn vom Burkini halte. „Als wir beide noch nicht auf der Welt waren, wurde in Deutschland darüber diskutiert, ob der Bikini nicht zu wenig Stoff ist“, antwortete die Fraktionsvorsitzende Grünen. „Und jetzt, 60 Jahre später, 50 Jahre später, diskutieren wir darüber, ob der Burkini zu viel Stoff ist.“
So ändern sich die Zeiten, insbesondere in Frankreich, wo sich inzwischen Streit über den Ganzkörperbadeanzug für muslimische Frauen zu einer Art Kulturkampfs ausgewachsen hat. Spätestens als Fotos von Polizisten veröffentlicht wurden, die offenbar eine Frau am Strand zum Ausziehen ihres Burkinis zwangen, besaß dazu jeder in der Republik eine eigene Meinung.
Vor einer Woche dann hob der Staatsrat, also das oberste Verwaltungsgericht des Landes, das Burkini-verbot in der Gemeinde Villeneuve-loubet auf. Damit wurden automatisch ähnliche Regelungen in fast dreißig weiteren Städten für rechtswidrig erklärt.
Die Badekleidung, urteilten die Richter, stelle keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Ein Verbot schränke hingegen die Grundrechte der persönlichen Freiheit und der Bewegungsfreiheit ein.
In Villeneuve-loubet, einem Städtchen an der Côte d’azur, waren zuvor Frauen am Strand für unerwünscht erklärt worden, die keine „korrekte Kleidung tragen, die den guten Sitten und dem Prinzip der Laizität entspricht und Hygiene- und Sicherheitsregeln im öffentlichen Meer respektiert“.
Nach dem Urteil des Staatsrats begann sofort die Debatte über ein gesetzliches Verbot. Eine solche Klärung sei nötig, sagte etwa Ex-premierminister François Fillon. Auch Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextremen Front National, sagte, dass nun der Gesetzgeber handeln müsse. Die Frauen, die Laizität und die französische Lebensweise müsse geschützt werden.
Nicht nur unter Ultrarechten und Konservativen hat längst ein rhetorischer Überbietungswettbewerb begonnen. Schon vor dem Staatsrat-entschluss hatte Ex-staatschef Nicolas Sarkozy ein Anti-burkini-gesetz für den Fall seiner erneuten Wahl im nächsten Jahr angekündigt. Nun hält auch der sozialistische Premierminister Manuel Valls ein Verbot für möglich.
Wie vor 30 Jahren, als es um Gesichtsschleier in der Schule ging, handele es sich um eine Grundsatzdebatte, teilte der Politiker mit. Den Burkini zu verbieten, bedeute nicht, die individuelle Freiheit infrage zu stellen, sondern einen tödlichen und rückschrittlichen Islam zurückzuweisen.
In Deutschland, an dessen Stränden der Burkini noch eher selten gesichtet wird, ist der Streit bislang mehr ein Medienals ein Massenthema – obwohl es schon erste Verbote in privat geführten Bädern gibt. An heißen Sommertagen zogen bevorzugt Journalistinnen von Magazinen und Morgensendungen den Burkini an, um ihn im Selbstversuch zu testen.
Inzwischen meldete sich sogar die Europäische Vereinigung der Dermato-onkologen zu Wort. Der Burkini, sagte ihr Präsident, sei eine wirksame Methode zur Vorbeugung von Hautkrebs. Nicht umsonst habe ursprünglich eine Frau in Australien diesen Badeanzug entwickelt. Dort sei die Gefahr, an Hautkrebs zu erkranken, bekanntlich besonders hoch.
Überbietungswettbewerb der Politiker