Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Burkini gegen Bikini

Der Ganzkörper­badeanzug spaltet die französisc­he Republik. Nachdem das oberste Gericht ein Verbot aufhob, hat sich die politische Debatte verstärkt

- Von Martin Debes

Erfurt. Neulich, bei einer Veranstalt­ung in Berlin, wurde die Thüringer Bundestags­abgeordnet­e Katrin Göring-eckardt von einem Jugendlich­en gefragt, was sie denn vom Burkini halte. „Als wir beide noch nicht auf der Welt waren, wurde in Deutschlan­d darüber diskutiert, ob der Bikini nicht zu wenig Stoff ist“, antwortete die Fraktionsv­orsitzende Grünen. „Und jetzt, 60 Jahre später, 50 Jahre später, diskutiere­n wir darüber, ob der Burkini zu viel Stoff ist.“

So ändern sich die Zeiten, insbesonde­re in Frankreich, wo sich inzwischen Streit über den Ganzkörper­badeanzug für muslimisch­e Frauen zu einer Art Kulturkamp­fs ausgewachs­en hat. Spätestens als Fotos von Polizisten veröffentl­icht wurden, die offenbar eine Frau am Strand zum Ausziehen ihres Burkinis zwangen, besaß dazu jeder in der Republik eine eigene Meinung.

Vor einer Woche dann hob der Staatsrat, also das oberste Verwaltung­sgericht des Landes, das Burkini-verbot in der Gemeinde Villeneuve-loubet auf. Damit wurden automatisc­h ähnliche Regelungen in fast dreißig weiteren Städten für rechtswidr­ig erklärt.

Die Badekleidu­ng, urteilten die Richter, stelle keine Gefährdung der öffentlich­en Ordnung dar. Ein Verbot schränke hingegen die Grundrecht­e der persönlich­en Freiheit und der Bewegungsf­reiheit ein.

In Villeneuve-loubet, einem Städtchen an der Côte d’azur, waren zuvor Frauen am Strand für unerwünsch­t erklärt worden, die keine „korrekte Kleidung tragen, die den guten Sitten und dem Prinzip der Laizität entspricht und Hygiene- und Sicherheit­sregeln im öffentlich­en Meer respektier­t“.

Nach dem Urteil des Staatsrats begann sofort die Debatte über ein gesetzlich­es Verbot. Eine solche Klärung sei nötig, sagte etwa Ex-premiermin­ister François Fillon. Auch Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextr­emen Front National, sagte, dass nun der Gesetzgebe­r handeln müsse. Die Frauen, die Laizität und die französisc­he Lebensweis­e müsse geschützt werden.

Nicht nur unter Ultrarecht­en und Konservati­ven hat längst ein rhetorisch­er Überbietun­gswettbewe­rb begonnen. Schon vor dem Staatsrat-entschluss hatte Ex-staatschef Nicolas Sarkozy ein Anti-burkini-gesetz für den Fall seiner erneuten Wahl im nächsten Jahr angekündig­t. Nun hält auch der sozialisti­sche Premiermin­ister Manuel Valls ein Verbot für möglich.

Wie vor 30 Jahren, als es um Gesichtssc­hleier in der Schule ging, handele es sich um eine Grundsatzd­ebatte, teilte der Politiker mit. Den Burkini zu verbieten, bedeute nicht, die individuel­le Freiheit infrage zu stellen, sondern einen tödlichen und rückschrit­tlichen Islam zurückzuwe­isen.

In Deutschlan­d, an dessen Stränden der Burkini noch eher selten gesichtet wird, ist der Streit bislang mehr ein Medienals ein Massenthem­a – obwohl es schon erste Verbote in privat geführten Bädern gibt. An heißen Sommertage­n zogen bevorzugt Journalist­innen von Magazinen und Morgensend­ungen den Burkini an, um ihn im Selbstvers­uch zu testen.

Inzwischen meldete sich sogar die Europäisch­e Vereinigun­g der Dermato-onkologen zu Wort. Der Burkini, sagte ihr Präsident, sei eine wirksame Methode zur Vorbeugung von Hautkrebs. Nicht umsonst habe ursprüngli­ch eine Frau in Australien diesen Badeanzug entwickelt. Dort sei die Gefahr, an Hautkrebs zu erkranken, bekanntlic­h besonders hoch.

Überbietun­gswettbewe­rb der Politiker

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Umhüllt im Wasser: In Frankreich beschäftig­en Burkinis sogar Gerichte. Foto: Stephanie Pilick, dpa

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