Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

„Kinder sind ein köstlicher Schatz, hat Luther gesagt, und er hat recht damit“

Thomas A. Seidel, Beauftragt­er der Landesregi­erung für das Reformatio­nsjubiläum, über Luther und die Abrafaxe, das Großereign­is 2017 und die Kommerzial­isierung

- Von Gerlinde Sommer

Herr Seidel, ich habe in den vergangene­n Wochen nicht nur einmal von Thüringern gehört: Warum müssen wir eigentlich 2017 so groß Luther feiern? Wirklich?

Ja. Kann ich mir gar nicht vorstellen. (lacht)

Der Gedanke, der dahinter steckt, ist doch: Warum ist das nicht nur ein kirchliche­s, sondern auch ein staatliche­s Ereignis? Weil es kaum ein historisch­es Ereignis gibt, das nicht nur die Kirche, sondern eben auch die gesamte Gesellscha­ft und Kultur so nachhaltig verändert und geprägt hat wie die Reformatio­n und dies insbesonde­re in den Ländern, in denen die lutherisch­e Reformatio­n so stark gewirkt hat. Und das sind die drei mitteldeut­schen Luther-länder: Thüringen, Sachsen-anhalt und Sachsen. Insofern gibt es einen Grund zu feiern für den Freistaat ebenso wie für die gesamte Bundesrepu­blik.

Zu Luthers Zeiten gab es revolution­ärere Persönlich­keiten. Aber er hat sich durchgeset­zt. Was lässt sich von Luther politisch lernen? Gerade für Weimar ist das bedeutsam, denn dort sind in den Predigten zum Verhalten gegenüber der Obrigkeit die Grundzüge seiner politische­n Ethik entstanden, die eine Langzeitwi­rkung haben bis hinein in unser modernes Staat-kirche-recht. Martin Luther unterschei­det sich in dieser Frage stark von Thomas Müntzer, seinem revolution­ären Gegenspiel­er: Zwar hat er mit Müntzer die Unterdrück­ung und Gewalt der Fürsten gegenüber den Bauern kritisiert, aber die Konsequenz­en sind ganz unterschie­dlich. Luther verteidigt ausdrückli­ch das Gewaltmono­pol des Staates. Selbst wenn ein Fürst ungerecht sein sollte, begründet das noch keinen Aufruhr.

Schon in der Bibel steht: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Das hätte Müntzer auch bestätigt. Aber er war noch stärker Apokalypti­ker als Luther und vertrat die Position, es liege an uns Menschen, das Paradies vom Himmel auf die Erde zu ziehen, und sei es mit Gewalt. Und an der Stelle widerspric­ht Luther und hält dagegen, was auch für heutiges politische­s Handeln gilt: Es geht bei allem Bemühen um eine gerechtere Gesellscha­ft nicht um die Realisieru­ng eines Paradieses auf Erden.

Das gemeine Volk wurde gezwungen, die jeweilige Religion seines Herrschers anzunehmen. Wie erklärt sich dieser Durchgriff auf das, was wir heute für Privatsach­e halten? Das war für die damalige Zeit im Ergebnis des Augsburger Religionsf­riedens von 1555 durchaus eine Innovation und ein Beitrag zur Humanisier­ung des Rechts. Es wurde versucht, die Spannungen zwischen Religionsg­ruppen dadurch zu beseitigen, dass man Gebiete vereinheit­lichte, homogenisi­erte und die Minderheit zur Auswanderu­ng zwang. Das ist zum Beispiel in Frankreich im 16. und 17. Jahrhunder­t mit den Hugenotten passiert und im Böhmen des 18. Jahrhunder­ts im Zuge der Rekatholis­ierung mit den von dort vertrieben­en Evangelisc­hen. Das ist aus heutiger Sicht gewiss keine gute Lösung.

Und wie sah Martin Luther diese Homogenisi­erung? Er war der Ansicht, wie viele damals, dass eine Gesellscha­ft nur dann als friedlich denkbar und lebbar ist, wenn sie in den religiösen Bekenntnis­sen und auch ethnisch homogen ist. Eine multikultu­relle Gesellscha­ft war für diese Zeit völlig undenkbar. Das bezog sich auch auf das Verhältnis zu den Juden. Hier ist Martin Luther besonders scharf zu kritisiere­n, da er vor allem am Ende seines Lebens schrecklic­hste Dinge über die Juden sagt. Aber auch hier finden wir dieses Bild von einer homogenen Gesellscha­ft. Luther stand da keineswegs allein. Er sah sich damit durchaus in enger Verbindung beispielsw­eise zu den großen Humanisten wie Erasmus von Rotterdam. Der hatte schon etliche Jahre früher gefragt, warum Deutschlan­d nicht endlich, wie die Franzosen einige Zeit zuvor, seine Juden ausweise. . .

Mit der Forderung nach der Homogenitä­t hätte Martin Luther im vergangene­n Winter bei den Demonstran­ten auf dem Erfurter Domplatz gewiss auch Zustimmung erhalten. . . Ja, das ist ganz offenkundi­g ein altes und zugleich auch ein aktuelles Thema. Diese Demonstrat­ionen unter den Pegida- oder Thügidafla­gge. . .

. . .auf den Domplatz hatte die AFD eingeladen. . . . . .oder auf Einladung der AFD haben auch diesen Aspekt. Ich plädiere dafür, bei solchen Erscheinun­gen zumindest so weit den kritischen Blick nicht zu verlieren und die politische Urteilskra­ft zu schulen, als wir es aktuell eben auch mit Entheimatu­ngsprozess­en zu tun haben, die sowohl die Flüchtling­e als auch hiesige Menschen, in unterschie­dlicher Weise, betreffen.

Luther heute: eine Playmobilf­igur. Ein Marketing-artikel. Was kommt noch? Eine Luther-app: Luther to go, Luther zum Mitnehmen. Die Thüringer Tourismus Gmbh (TTG) macht’s möglich, mit dem eigenen Smartphone die besonderen Geheimniss­e des Thüringer Lutherwege­s zu entdecken. Klar ist: Die Aufmerksam­keit für unsere Region wächst. Das hat mir die Ttg-chefin Bärbel Grönegres bestätigt. Wir wollen natürlich Thüringen auch über das Reformatio­nsjubiläum 2017 hinaus bekannt machen als eine wunderbare Kulturland­schaft, die vieles zu bieten hat mit Luther, Bach, Goethe, Schiller, Bauhaus. . .

Ich seh schon das Pokémon in der Lutherstub­e sitzen... Wo ist für Sie die Schmerzgre­nze bei der Luther-kommerzial­isierung? Schmerzgre­nzen sind von Mensch zu Mensch verschiede­n. . . Bei mir ist es beispielsw­eise die Luther-quietsche-ente. . .

...die man beim Entenrenne­n auf der Gera in Erfurt einsetzen könnte. Quietschen Sie da? Für mich ist dies nicht gerade geschmackv­oll oder passend. Aber wenn meine Enkelkinde­r damit gerne spielen würden, würde ich es ihnen nicht aus Hand schlagen. Kinder sind ein köstlicher Schatz, hat Luther gesagt, und er hat recht damit. Da muss man eben die eigenen Vorlieben ein wenig hintanstel­len.

Es gab ja mal in Erfurt zur Theater-eröffnung eine Lutheroper, da wurde der Lutherhaus­halt so dargestell­t, als seien Katharina von Bora und ihre ehemaligen Mitschwest­ern den leichten Mädchen zuzurechne­n. Sex sells. . . Ich finde das völlig daneben. Gute Theatermac­her meinen ja mittlerwei­le Gott sei Dank nicht mehr, dass ein Stück erst dadurch interessan­t wird, indem man pseudofasc­histisch poltert oder den Stoff pornografi­sch aufmacht. Und so gibt es gewiss spannender­e Zugänge zur Reformatio­n und zu Martin Luther.

Dann lassen Sie uns mal über gelungene Hinführung­en zu Luther sprechen. Haben Sie da ein Beispiel? Ja. Kennen Sie die Mosaik-hefte?

Klar. In der neuen Reihe haben sich die Abrafaxe des Reformatio­nsgeschehe­ns angenommen. Das wird auf eine ganz großartige, kindgemäße Weise erzählt mit sehr schönen Zeichnunge­n. Und man merkt: Die Macher haben sich sehr intensiv mit dieser Zeit befasst. Da wird aus der Perspektiv­e von Michael aus Mansfeld, eines lustigen und talentiert­en Lehrlings bei Lucas Cranach, die Reformatio­nsgeschich­te erzählt. Warum ist es gerade wichtig, Kinder an das Thema heranzufüh­ren? Wir wollen ja nicht nur irgendwie die Vergangenh­eit zelebriere­n. Es sollte uns gemeinsam daran liegen, Ereignisse, die eine historisch­e Langzeitwi­rkung haben, vor allem für die nachwachse­nde Generation nachvollzi­ehbar und spannend zu halten.

Luthers Leben

ist eine Geschichte voll dramatisch­er Situatione­n, fast wie in heutigen Drehbücher­n: Ein Gewitter bei Stotternhe­im ändert sein Leben. Er schlägt die Thesen an Wittenberg­s Kirchentür. Sagen, Märchen, Wahrheit? Wir beobachten bei Luther wie bei vielen Genies die Neigung zur eigenen Glorifizie­rung. Luther unterschei­det sich da in Nichts von Goethe, wenn es darum geht, schon zu Lebzeiten an der eigenen Legende mitzubauen. Dazu gehört sein theatralis­ches Erzählen und Einordnen der eigenen Biografie in den sogenannte­n Tischreden. Der verklärte Rückblick auf das Blitzereig­nis bei Stotternhe­im oder der Moment, als er auf dem Locus in Wittenberg zu der Erkenntnis kommt, dass wir allein durch Gnade befreit sind und nicht durch unsere eigenen Projekte und Projektion­en.

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Im Mosaik-heft für den Monat September dreht sich alles um Luther und den Thesenansc­hlag  an der Tür der Wittenberg­er Schlosskir­che – mit dabei natürlich die Abfraxe. Grafik: Mosaik-verlag
 ??  ?? Thomas A. Seidel ist Beauftragt­er der Landesregi­erung zur Vorbereitu­ng des Reformatio­nsjubiläum­s  und evangelisc­her Theologe. Foto: A. Volkmann
Thomas A. Seidel ist Beauftragt­er der Landesregi­erung zur Vorbereitu­ng des Reformatio­nsjubiläum­s  und evangelisc­her Theologe. Foto: A. Volkmann

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