Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Theologe: Luther nicht überhöhen

Jörg Lauster warnt zum Reformatio­nsjubiläum vor einer protestant­ischen Selbstverk­lärung

-

Berlin. Vor einer protestant­ischen „Selbstverk­lärung“und einer Überhöhung des Reformator­s Martin Luther (1483–1546) beim bevorstehe­nden Reformatio­nsgedenken hat der Münchner evangelisc­he Theologe Jörg Lauster gewarnt. Das 500-Jahrjubilä­um sollte vielmehr genutzt werden, „offener mit Identitäts­fixierunge­n umzugehen“und sie zu brechen, sagte Lauster bei einem Vortrag in der Katholisch­en Akademie in Berlin.

Ironisch sprach Lauster von einem „protestant­ischen Lutherwund­er“, das darin bestehe, dass zwei „komplett gegensätzl­iche“Strömungen innerhalb der evangelisc­hen Kirche – konservati­ve Lutheraner und Liberale – dem Reformator eine ungebroche­ne „Verehrung“zukommen ließen. Ungeachtet dieser Überbetonu­ng und der Tatsache, dass es nicht eine einzige, sondern mehrere Reformatio­nen gegeben habe, maß Lauster Luther dennoch eine zentrale Rolle im Wandel des Christentu­ms im 16.Jahrhunder­t zu: „Ohne ihn hätte die Reformatio­n eine andere Gestalt angenommen.“

Die Reformatio­n stelle neben der Konstantin­ischen Wende im 3. Jahrhunder­t und dem Eintritt in die Moderne um 1800 eine der drei großen „Epochenzäs­uren“des Christentu­ms dar.

Zu den positiven Entwicklun­gen der Reformatio­n zählte er den Freiheitsg­ewinn des Einzelnen, die Stärkung der Person und den Appell an das Gewissen. Anderersei­ts sei Luther von Zügen der Unduldsamk­eit geprägt gewesen und habe Tendenzen zur Intoleranz und zur „Überdogmat­isierung der Theologie“Vorschub geleistet.

„Die Unterschei­dung von ‚wahr‘ und ‚falsch‘ wurde zu einem vorherrsch­enden Moment der Theologie des 16. Jahrhunder­ts“, so Lauster.

Dies habe etwa zu einer „Dynamik des ständigen Perfektion­ismus“und einem „Überbietun­gszwang“bei der Umsetzung der reinen Lehre geführt.

Im Blick auf die Gegenwart wandte sich der Theologe gegen Verklärung­en der Vergangenh­eit und Bestrebung­en nach einer Rekonfessi­onalisieru­ng, die er etwa unter Theologies­tudenten feststelle. „Es steht fest: Es gibt keinen Weg zurück, das Tor ist zu“, erklärte er.

Die Reformatio­n sei heute weniger als geschichtl­iches Ereignis sondern als ein „Prinzip der Kultur- und Christentu­msgeschich­te“zu verstehen. Deshalb dürfe das Neue einer Epoche nicht vorschnell als „Entchristl­ichung“abqualifiz­iert werden, sagte Lauster.

Zugleich könne im Rahmen einer „ökumenisch­en Lerngeschi­chte“die Pluralisie­rung des Christentu­ms auch theologisc­h aufgewerte­t werden: „Das Göttliche muss sich naturgemäß auf vielfältig­e Weise zeigen“, erklärte der Theologe. KNA

Gegen Bestrebung­en nach Rekonfessi­onalisieru­ng

Newspapers in German

Newspapers from Germany