Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Lausbub, Chefchen, Legende
Es war ein sonniger Tag, Anfang August. Wir fühlten uns ziemlich verloren in dieser großen Schüssel, die weder Schatten bot noch Stimmung aufkommen ließ. Ein paar Tausend reichen eben nicht aus, um dem Münchner Olympiastadion Atmosphäre einzuhauchen. Doch weil es die offizielle Saisoneröffnung war, mit Blasmusik, Brezeln, Bier und dem ganzen bayerischen Klimbim, hatten die Amateure des Branchenführers im damaligen Wohnzimmer der Profis zu spielen. Als Beiwerk sozusagen.
Und der FC Rot-weiß war damals, im Jahre 2003, auch zu Gast; übrigens mit den heute andere Positionen im Club bekleidenden Torsten Traub, René Twardzik und Ronny Hebestreit in der Startelf. Das Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Nach einer halben Stunde stand es 2:0 für Bayerns Talente. Es war der Endstand, weil Erfurts Stürmer René Müller seinem Namensvetter auf der Trainerbank nicht wenigstens eine kleine Freude bereitete. Er scheiterte kurz vor Schluss per Elfmeter an Michael Rensing.
Aber nicht um den Torwart drehten sich danach die meisten Gespräche. Hermann Gerland, der damals bei den Amateuren das Sagen hatte, schwärmte von einem schmächtigen Burschen, der uns, zugegeben, kaum aufgefallen war. Ein paar schöne Pässe und der eine oder andere Haken, okay. Doch so dominant wie die beiden Torschützen Paolo Guerrero und Zvjezdan Misimovic war dieser Bastian Schweinsteiger nicht. Beinahe schienen wir geneigt, dem Blondschopf ein Paar Ski zu reichen. Damit soll er in der Jugend ähnlich talentiert gewesen sein wie ein gewisser Felix Neureuther. Aber Fußballprofi? Bei den Bayern? Nee, oder?
Wie man sich irren kann.
Doch nicht nur die (einst von manchem verkannte) spielerische Klasse, machte ihn letztlich zur Fußball-legende. Es ist die Art, wie sich Schweinsteiger stets in den Dienst des Teams gestellt und selbst nie zu wichtig genommen hat; wie er immer der Lausbub geblieben war. Vor besagtem Rotweiß-spiel bediente er den Münchner Boulevard, als der 18-Jährige um zwei
Oliver Kahn muss sicher heute noch grinsen, wenn er daran denkt. Er erinnert sich an einen schüchternen Jungen, der plötzlich neben ihm in der Kabine saß. Einer, der nicht wagte, aufzumucken, obwohl ihm der Torhüter immer das Handtuch stibitzte. Statt sich zu beschweren, ging Schweinsteiger immer wieder zum Physiotherapeuten und holte sich ein neues. Wer wagt es
Dieser fehlende Hang, den Big Boss herauszukehren, führte Jahre später zur „Chefchen“-affäre, als dem Mittelfeldmann von Springer-blättern öffentlich das Zeug zur echten Führungskraft abgesprochen wurde. Damals platzte dem sonst so besonnenen Typen der Kragen. Er wehrte sich erst mit Kraftausdrücken und dann mit umso stärkeren Auftritten auf dem Platz.
Die Erfurter sind übrigens nach der Begegnung mit dem jungen Schweinsteiger am Saisonende in die 2. Liga aufgestiegen; als Zweiter der Regionalliga Süd. Erster wurden die Bayernbubis; ohne Gerlands Lieblingsspieler – der war längst befördert worden.