Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Im Wilden Westen der USA fest im Sattel – Portland ist eine Fahrradstadt
Portland in Oregon gilt als heimliche Hipster-hauptstadt der Vereinigten Staaten und ist fahrradfreundlich. Das kann einem Urlauber aus Europa nur recht sein
Portland. Man stelle sich folgendes Szenario vor: Der Passagier steigt aus dem Flugzeug, entnimmt der Gepäckausgabe die Einzelteile seines mitgebrachten Fahrrads, leiht sich im Airport das benötigte Werkzeug und montiert das Bike an einem eigens dafür eingerichteten Platz neben der Ankunftshalle. Danach geht es auf dem Rad direkt in die City oder zur S-bahn, die Fahrräder kostenlos mitnimmt. Klingt utopisch? In Portland läuft es genau so. Die Metropole im Us-bundesstaat Oregon ist nämlich fahrradverrückt.
Wie aus einer Statistik des Vereins League of American Bicyclists hervorgeht, beträgt der Anteil derer, die auf dem Weg zur Arbeit das Fahrrad bevorzugen, in Portland 7,2 Prozent – eine für amerikanische Verhältnisse stolze Zahl und Spitzenwert unter den amerikanischen Großstädten. Zum Vergleich: New York liegt mit gerade einmal 1,1 Prozent abgeschlagen auf dem 25. Platz.
„Das zukunftsorientierte Radfahrkonzept, das in unserer Stadt mehr und mehr umgesetzt wird, kommt bei den Leuten gut an. Biken mitten in der Stadt ist bei uns zur Normalität geworden“, sagt Ira Ryan (39) vom Fahrradhersteller Breadwinner Cycles. Mit seinem Freund und Kollegen Tony Pereira hat er schon vor Jahren die Marktlücke erkannt. Heute schrauben, schweißen und lackieren die beiden Chefs in einer umgebauten Garage hinter dem Wohnhaus persönlich. Es gibt keine Räder von der Stange, sondern handgemachte und individuelle Einzelstücke. Portland sei der richtige Platz zum Radfahren, glaubt Ryan. „Diese Stadt hat uns immer inspiriert. Auf den Brücken, in den Gassen, beim Biken über die West Hills und durch den Forest Park sind unsere Ideen gereift“, erzählt der Unternehmer. Dem leichten Gefühl, das einen als Radfahrer in Portland überkommt, lässt sich als Tourist leicht nachspüren – bei einer geführten Tagestour oder auch nachts beim abenteuerlichen Midnight Mystery Ride.
Guthrie Straw ist ein Mann mit vielen Talenten. Er ist Anwalt, hat einen Abschluss in Umweltmanagement – und fährt Rad mit Leib und Seele. Straw gehört zum Team der Cycle Portland Bike Tours und betreibt darüber hinaus ziemlich leidenschaftlich die Website www.pedaldream.com, um noch mehr Leute dazu zu bewegen, das Auto in der Garage stehen zu lassen und auf den Sattel umzusteigen. Der Guide zeigt Urlaubern Portland per Fahrrad. Startpunkt ist Downtown. Weiße Doppelspuren und leuchtend grüne Markierungen sorgen dafür, dass sich Radfahrer auf den Straßen rundum wohl und sicher fühlen dürfen. Es geht eine die breite Broadway Street hinauf. „Das ist die größte Steigung, die wir heute bewältigen müssen. Maximal vier Prozent, bei großer Hitze vielleicht fünf Prozent“, scherzt Straw.
In den Pausen geht der Radexperte immer wieder auf die Verkehrsplanung seiner Stadt ein, die viel von europäischen Radmetropolen gelernt habe. Tatsächlich wird Portland den Bedürfnissen von Radfahrern gerecht: So stehen bei einem durchgängigen Tempo von knapp 20 Stundenkilometern alle Ampeln auf Grün – sehr angenehm.
In und um Portland gibt es mittlerweile mehr als 550 Kilometer an radfahrtauglichen Strecken. Ein Vorzeigebeispiel ist die im September 2015 eingeweihte Tilikum Crossing über den Willamette River. Mit einer Gesamtlänge von 518 Metern ist sie die längste autofreie Brücke der USA. Dass die Brücke von Bikern rege genutzt wird, belegt die automatische Erfassung von Zweiradfahrern, die in diesem Jahr eine Jahresgesamtzahl von mehr als 130000 kalkuliert. Hier verkehrt auch die neue Stadtbahn Max Orange Line, die bis zu 400 Räder transportieren kann.
Man schätzt, dass durch die Brücke auf der Verbindung zwischen Downtown Portland und der State University rund 9000 Autos pro Tag von der Straße genommen werden. Die „Bridge of the people“ist außerdem zu einer überdimensionalen, viel beachteten Kunstinstallation geworden. In der Dämmerung wird ein Farbenspiel aktiviert, das von Jahreszeit, Wasserstand und -temperatur sowie Fließgeschwindigkeit des Flusses bestimmt wird.
Zwischenstopp in Hopworks Bikebar, die wie immer gut frequentiert ist. Vor der Tür stehen zwei Ergometer. Wer will, darf hier eine Viertelstunde strampeln und bekommt dafür einen Rabatt von einem Dollar auf die später zu bezahlende Rechnung. Beim Blick auf die unzähligen Fahrradrahmen, die über der Bar aufgehängt sind, schlägt so manches Radfahrerherz höher.
Auch Jeff ist an diesem Samstag gekommen, ein Tourist aus dem Nachbarstaat Washington. Er lässt sich eine Weißbierschorle schmecken und erzählt gut gelaunt von einer geplanten achttätigen Biketour mit ein paar Kumpels. Noch ein Rad-fan, der allerdings auch gutes Bier zu schätzen weiß.
Und da ist er in Portland genau richtig, es gibt insgesamt 53 Brauereien in der Stadt. „Auf deutsches Bier muss man hier nicht verzichten“, sagt der gebürtige Freiburger Tobias Hahn.
Der Mikrobiologe hat sein Hobby zum Beruf gemacht und zusammen mit einem Partner das Bier Rosenstadt auf den Markt gebracht. Ein durchaus passender Name, schließlich ist Portland auch als City of Roses bekannt. Im Frühsommer wird stets das mehrwöchige Rosenfestival mit abschließender großer Parade gefeiert. „Portland ist im Grunde eine Kleinstadt geblieben“, sagt Hahn über die Wirtschaftsmetropole.
Davon kann sich überzeugen, wer am Samstagmorgen den Farmer-markt bei der Portland State University besucht oder einen Spaziergang auf der zwei Kilometer langen Promenade entlang des Willamette River unternimmt. Dort trifft man auch viele Einheimische, umgeben von Grünanlagen und Springbrunnen. Ein idealer Ort, um als Besucher dem besonderen Flair Portlands nachzuspüren.
Die Radtour führt nun durch schnucklige Wohngebiete. „Gerade auch in diesen Vierteln hat sich in den vergangenen Jahren verkehrstechnisch vieles geändert – aber erst, nachdem die Nachbarn den Aufstand gewagt haben“, erzählt Guthrie Straw.
Raserei ist jetzt verboten, es gilt ein Tempolimit von 20 Meilen pro Stunde, die Verkehrsführung wurde beruhigt. „Ein erzieherischer Effekt“, sagt Straw. Nach drei Stunden und 25 Kilometern ist der Ausgangspunkt der Tour wieder erreicht.
Viel gelernt von Europas Radmetropolen