Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Mehr Unfälle, aber weniger Verkehrstote
60 000 Mal krachte es vergangenes Jahr auf Thüringens Straßen. Immer öfter werden Einsatzfahrzeuge blockiert. Innenminister Poppenhäger will das härter bestrafen
Erfurt. Stockt der Verkehr auf der Autobahn oder einer mehrspurigen Straße außerorts, dann ist das Bilden einer Rettungsgasse Pflicht – wer dagegen verstößt, der kann belangt werden: 20 Euro Strafe sieht der Bußgeldkatalog vor.
Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) hält das für zu gering. Er fordert empfindlichere Strafen für Rettungsgassensünder. „Aus meiner Sicht sollte dieser Betrag zwingend angehoben werden“, sagt Poppenhäger und verweist auf eine Beschlusslage der Innenministerkonferenz vom Herbst, die das ebenfalls vorsieht.
Anlass für diesen Vorschlag waren nicht jüngste Fälle von blockierten Einsatzfahrzeugen. Der Innenminister hatte gestern auch die Aufgabe, die Verkehrsunfallstatistik für das vergangene Jahr vorzustellen.
Poppenhäger und Polizeipräsident Karl Uwe Brunnengräber kommen mit zehn Minuten Verzug im Konferenzraum des Ministeriums an. Das bietet sogleich eine Möglichkeit, die Unfallzahlen plastisch darzustellen: In diesen zehn Minuten hat es irgendwo in Thüringen möglicherweise schon wieder gekracht.
2016 war das so: Alle neun Minuten mussten Polizeibeamte irgendwo im Land einen Verkehrsunfall aufnehmen. Die sogenannte Schadensuhr haben die Statistiker des Innenministeriums aufbereitet. Nach einer Dreiviertelstunde ein weiterer Blick darauf: Im vergangenen Jahr wäre in dieser Zeit irgendwo eine Fahrerflucht begangen worden – alle 41 Minuten.
Dennoch: Der Bewertung der Statistik durch Polizeipräsident Brunnengräber fällt überwiegend positiv aus. Zwar ist die Zahl der Verkehrsunfälle leicht um 776 angestiegen ist. Insgesamt 56 958 Mal hat es auf Thüringens Straßen im vergangenen Jahr gekracht. Aber: Es gab elf Todesopfer (104) weniger und auch die Zahl schwer verletzter Personen nach Unfällen ging ebenfalls zurück.
Fast schon traditionell zeigt die Statistik überhöhte beziehungsweise nicht angepasste Geschwindigkeit als Hauptunfallursache an. „Es gilt für uns, diesem Schwerpunkt deutlich entgegenzuwirken“, sagt Brunnengräber.
Dafür gibt es bei der Polizei nunmehr seit einem Jahr eine eigene Rahmenkonzeption, die zunächst bis zum Jahr 2019 angelegt ist. Die sieht regelmäßige Schwerpunktverkehrskontrollen mit Blick auf die Hauptunfallursachen vor – dazu gehört neben der Geschwindigkeit auch Alkoholkonsum. Etwa jeder zehnte Unfall wurde durch betrunkene Fahrer verursacht. Und dabei geht die Thüringer Polizei bereits intensiv gegen Alkoholsünder am Steuer vor.
Unfälle unter Alkohol sind leicht rückläufig
Brunnengräber beschreibt es anders: Auf einen Verkehrsunfall, der unter Alkoholeinwirkung verursacht wurde, kommen 3,6 Trunkenheitsfahrten, die von Polizeibeamten entdeckt wurden und folgenlos geblieben sind. 2015 lag diese Zahl auf einem ähnlichen Niveau.
Ein Blick auf die Schadensuhr zeigt hier die positive statistische Entwicklung, allerdings kann noch nicht von einer Wende gesprochen werden: Während 2015 alle 21 Stunden ein Verkehrsteilnehmer bei einem Alkoholunfall verunglückte war das im vergangenen Jahr alle 23 Stunden der Fall – aber eben immer noch einmal am Tag.
Während die Beamten zwar immer noch zahlreiche Unfälle aufnehmen, die unter Alkoholeinfluss geschehen, aber es hier einen positiven Trend gibt, entwickelt sich die Statistik negativ beim Blick auf die Unfälle, die von Fahrern unter dem Einfluss von Drogen verursacht wurden. Zwar decken die Beamten immer noch zahlreiche folgenlose Drogenfahrten auf, allerdings steigt die absolute Zahl weiter an. 144 Drogenfahrten endeten 2016 mit einem Verkehrsunfall – teils mit erheblichen Folgen: 23 Personen erlitten schwere Verletzungen, eine Steigerung um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu 2015.
Die Thüringer Polizei will mit ihren Maßnahmen auch in diesem Bereich im Jahr 2017 weiter präventiv wirken. Karl Uwe Brunnengräber blickt vor allem auf die jungen Fahrer, bei denen Fahren unter Alkoholeinwirkung mit zu den Hauptunfallursachen gehört, wenngleich nicht angepasste Geschwindigkeit und das Nichteinhalten des Sicherheitsabstandes hier ganz vorn rangieren. Brunnengräber macht deutlich, dass im Bereich Erziehung und Prävention vor allem die jungen Fahrer angesprochen werden sollen. „Es geht uns darum, hier insbesondere durch Aufklärung die Risikobereitschaft zu senken“, sagt der Polizeipräsident.
Auch die älteren Fahrer wird die Polizei weiter im Visier haben müssen. Denn auch sie haben wieder mehr Unfälle verursacht, als 2015.
Mehr als 10 000 Mal krachte es, wenn Verkehrsteilnehmer über 65 Jahre beteiligt waren – mehr als 8000 dieser Unfälle haben die älteren Fahrer auch selbst verursacht. Auch hier lohnt ein Blick auf die Schadensuhr: Alle sieben Stunden verunglückte 2016, genau wie 2015, auf Thüringens Straßen ein Verkehrsteilnehmer, der über 65 Jahre alt war.