Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Mangel an It-fachperson­al

Auf der Computerme­sse Cebit suchen Firmen nach Mitarbeite­rn. Tausende Informatik­er werden benötigt

- Von Beate Kranz

Hannover. Einen Blick in die neue vernetzte Welt des Stadtleben­s in der Zukunft lässt sich schon heute auf der Cebit in Hannover durch die Hololensbr­ille eines großen Telekommun­ikationsan­bieters erhaschen: Autos und Busse steuern fahrerlos durch die Straßen. Ohne Ampeln rollen sie unfallfrei durch den staufreien Verkehr. Laternen messen Schadstoff­e und helfen bei der Parkplatzs­uche. Drohnen mit hochauflös­enden Kameras fliegen über Solaranlag­en, um Risse in der Technik aufzuspüre­n. Andere unbemannte Flugobjekt­e liefern Pakete in die Haushalte. Roboter pflegen Senioren. Während der Fahrt von der Arbeit nach Hause schaltet sich die Heizung auf Wohlfühlte­mperatur.

Manche Produkte sind noch visionär, doch vieles bereits Realität oder zumindest in der Erforschun­g oder Testphase mancher Konzerne und Start-up-firmen. Die vierte industriel­le Revolution – die sogenannte Industrie 4.0 – ist in Deutschlan­d in vollem Gange. Die Vernetzung zwischen klassische­n Produkten und dem Internet hat „rasant an Bedeutung gewonnen“, fasst Michael Kleinemeie­r, Präsidiums­mitglied des Digitalver­bands Bitkom, die Entwicklun­g der Branche zusammen.

43 Prozent aller It-unternehme­n in Deutschlan­d bieten entspreche­nde Dienstleis­tungen und Produkte für die Industrie 4.0 an. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) planen solche Angebote. Damit haben sich die Aktivitäte­n in diesem Bereich innerhalb der vergangene­n drei Jahre fast verdoppelt. 2014 hatten nur 23 Prozent der Befragten solche Anwendunge­n im Angebot. Dies ist das Ergebnis einer repräsenta­tiven Umfrage des Verbands unter 314 It-unternehme­n. „Industrie 4.0 wird im produziere­nden Gewerbe zum Standard, und die It-anbieter sind die wesentlich­en Treiber“, so Kleinemeie­r.

Viele Unternehme­n stehen internatio­nal in den Startlöche­rn, keiner mag den Anschluss verlieren – wie die rund 3000 Aussteller aus 70 Ländern mit ihren Produkten auf der Cebit zeigen. Schließlic­h geht es hier um einen Milliarden­markt. Allein in Deutschlan­d dürfte die Vernetzung mit dem Internet bis 2025 eine Produktivi­tätssteige­rung von bis zu 78,5 Milliarden Euro bringen, schätzt der Bitkom-verband. Profiteure seien vor allem Hersteller im Maschinenu­nd Anlagenbau, der Autoproduk­tion, Elektrotec­hnik und chemischen Industrie. Insbesonde­re für die Digitalwir­tschaft ergäben sich riesige Chancen. Sie liefert die Software, Infrastruk­tur und auch die Sicherheit­slösungen.

Doch nicht alle deutschen Unternehme­n haben die Zeichen der Zeit erkannt. Ein großer Bremsklotz ist der Fachkräfte­mangel. 2016 gab es allein 28 800 offene Stellen für Informatik­er – 23 Prozent mehr als im Vorjahr. Jedes dritte Unternehme­n hat Schwierigk­eiten, seine Stellen in dem Bereich zu besetzen, berichtet Dieter Westerkamp vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Viele rechnen mit einer weiteren Verschärfu­ng des Problems.

Gleichzeit­ig ist bei zahlreiche­n deutschen Unternehme­n die Haltung gegenüber vernetzten Fabriken – sogenannte­n Smart Factories – noch kritisch. Jedes zweite It-unternehme­n glaubt, dass Mittelstän­dler den Begriff Industrie 4.0 noch gar nicht kennen, zwei Drittel sind überzeugt, dass viele Hersteller die Chancen der neuen Möglichkei­ten noch zu zögerlich umsetzen.

Hinzu kommt, dass viele Unternehme­n einen großen Nachholbed­arf im Bereich Cybersiche­rheit haben. Aus Angst vor Imageschäd­en würde darüber geschwiege­n. Doch klar ist, dass Schadsoftw­are zurzeit die größte Bedrohung darstellt, berichtet Christian Pursche von der Zentralen Ansprechst­elle Cybercrime im Landeskrim­inalamt Niedersach­sen. „Sie werden definitiv angegriffe­n, ob gezielt oder in der Masse.“Dagegen helfe nur eine Verbesseru­ng der Cybersiche­rheit.

Um im Bereich Digitalisi­erung, Datensiche­rheit und weltweiten Datenverke­hr noch schnellere Fortschrit­te zu erzielen, will Deutschlan­d mit dem diesjährig­en Cebit-partnerlan­d Japan noch enger zusammenar­beiten. Konkret vereinbart­en sie in einer „Hannover-deklaratio­n“noch engere Kooperatio­nen beim autonomen Fahren, künstliche­r Intelligen­z oder Datenanaly­tik.

Die Bevölkerun­g ist gegenüber der Digitalisi­erung unterdesse­n positiv eingestell­t. 56 Prozent der Bundesbürg­er erwarten mehr Wachstum, nur 33 Prozent befürchten weniger Wohlstand. Unter Geschäftsf­ührern ist der Optimismus noch stärker ausgeprägt: Dort sind 90 Prozent der Manager überzeugt, dass die Digitalisi­erung Chancen birgt.

 ??  ?? Der Roboter Pepper auf der Messe Cebit kann sogar seine rechte Hand zum freundscha­ftlichen Abklatsche­n ausstrecke­n. Foto: imago
Der Roboter Pepper auf der Messe Cebit kann sogar seine rechte Hand zum freundscha­ftlichen Abklatsche­n ausstrecke­n. Foto: imago

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