Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Des Tonsetzers Bücherwelten
Im Bachhaus zu Eisenach wurde jetzt die theologische Bibliothek Johann Sebastian Bachs für die Dauerausstellung rekonstruiert
Eisenach. Um einen kleinen, doch sehr substanziellen Bestandteil reicher ist die Dauerausstellung im Eisenacher Bachhaus: um die rekonstruierte theologische Bibliothek des größten Sohns der Stadt. In mehrjähriger akribischer Forschungs- und Erwerbstätigkeit haben Direktor Jörg Hansen und seine Mitstreiter, fachlich unterstützt aus dem Bach-archiv Leipzig, mehr als 80 historische Bände erworben und präsentieren sie von heute an in einem Nebengelass ihres Hauses sehr würdevoll der Öffentlichkeit. Finanziell wurde das Projekt im Rahmen des Lutherjahres vom Freistaat gefördert.
Spätestens ab 1722 hat Johann Sebastian Bach theologische Schriften gesammelt. Er besaß mehrere Bibeln sowie zwei mehrbändige Gesamtausgaben der Schriften Martin Luthers – die seinerzeit moderne Altenburger sowie die ältere Jenaer Ausgabe, beide in deutscher Sprache. Besonders wichtig waren indes für den Tonsetzer, weil er nicht zuletzt Kantaten für den Gottesdienst zu verfassen hatte, Predigten und Kommentare zu Bibelstellen, Fachliteratur also, die er in einigen Quart- oder Foliobänden erwarb. So weiß man heute von mindestens 52 Titeln in 81 Bänden aus seinem Besitz, die in dem ominösen Nachlassverzeichnis von 1750 aufgeführt sind. Aus dem ursprünglichen Bach-bestand rührt keines dieses Bücher her; sie stammen aber, soweit nachvollziehbar, aus denselben oder ähnlichen historischen Auflagen, die dem großen Johann Sebastian damals zu eigen waren. Mit einem bibliophilen Schatz wie dem Original von Bachs sogenannter Carlov-bibel, von Auswanderern in die USA gebracht und dort einem Museum in St. Louis überantwortet, vermag Jörg Hansen zwar nicht aufzuwarten, doch wird in Eisenach „Bachs innere Welt“– so der Titel der neuen Zusatz-ausstellung – derart angemessen und mußevoll mit aufgeblätterten, zumeist illustrierten Frontispizen gezeigt, dass der Betrachter der Aura der Bücher wie ihrer geistiger und geistlicher Gehalte Respekt zollen mag.
Mindestens unterschwellig wird dieser Geist in das Kantaten- und übrige geistliche Werk des Barock-genies eingeflossen sein. Interessant erscheint auch theologischen Laien daher die Frage, wie sich der Tonsetzer im nachreformatorischen Richtungsstreit positionierte: Zwar hatte er Schriften von Autoren wie August Hermann Francke, Johann Jakob Rambach und Johann Arndt griffbereit im Regal, doch stand Bach, obschon er sich anno 1714 in Halle, dem Zentrum der pietistischen Bewegung, um Anstellung beworben hatte, fest auf dem Fundament des orthodoxen Luthertums. Daneben war er auch mit dem spätmittelalterlichen Mystizismus etwa eines Johannes Tauler durchaus vertraut.
Frank und frei gesteht der Bachhaus-direktor, dass – der Quellenlage halber – keine Gewissheit über die Vollständigkeit dieser Bach-bibliothek besteht. So wundert sich Hansen etwa, dass im Nachlassverzeichnis keinerlei musikalische oder belletristische Werke – nicht einmal vom Librettisten Picander oder von klassischen Autoren wie Ovid oder Cervantes – aufgeführt sind. Auch werde laut Hansen der zeitgenössische Wert des aufgelisteten Bücherhorts mit 38 Talern 17 beziffert; das entsprach für den geschätzten Komponisten, der 400 Taler jährlich verdiente, nur einem Monatsgehalt.
Dem Pietismus nicht kategorisch abgeneigt
Eine Fülle an detektivischen Unwägbarkeiten
Folglich liegt die Vermutung nahe, dass sich zuerst Bachs musikalische Söhne nach Ableben des Vaters aus dessen Regalen bedienten und sie nur das übrige – womöglich Doubletten zum eigenen Besitz – in der ominösen Liste vermerken ließen, zumal diese, da mit Einzelpreisen versehen, wahrscheinlich potenziellen Käufern als Offerte angedient wurde. So wundert Hansen sich etwa, dass die Altenburger Luther-ausgabe mit nur fünf Talern pro Band ausgezeichnet wurde; druckfrisch hat Bach sicherlich das Doppelte bezahlt – heute ist diese antiquarische Kostbarkeit ein kleines Vermögen wert.
Schließlich beruht eine weitere Unwägbarkeit darin, dass man zu Bachs Lebzeiten Schriften zumeist als ungebundene, unaufgeschnittene Buchblöcke erwarb und sich nach Gusto privat binden ließ – und dabei aus Gründen der Kosten, der Systematik oder der Ästhetik mitunter weiteres vom selben Autor mit hinzubinden ließ.
Es könnte also weit mehr gewesen sein, als jetzt ist. Darüber wissen wir nichts; jedoch ist das, was im Bachhaus zu sehen und instruktiv mit vier kleinen Hörspielen erläutert wird, ziemlich gesichert. – Die Stimme, die uns über „Bachs innere Welt“aufklärt, gehört sinnigerweise der Synchronsprecherin von James Bonds Sekretärin Eve Moneypenny.
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ab heute; Mo-so - Uhr