Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Die vertraute Geografie dreier Morde
Julia Bruns dritter Heimatkrimi lässt die ungleichen Kommissare Bernsen und Kohlschuetter in Bilzingsleben und Kindelbrück ermitteln
Gestern stellte Julia Bruns auf der Leipziger Buchmesse ihren dritten Thüringen-krimi vor. Heute ist Premieren-lesung – nicht zufällig im „Alten Pfarrhaus“in Bilzingsleben (19 Uhr). Überhaupt ist das mit dem Zufall so eine Sache bei „Äpfel und Dirnen“, dem Nachfolger von „Zwei Bier und ein Mord“und „Im Schatten der Heidecks-burg“. Armin Burghardt hat alle drei gelesen.
„Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind bis auf die in der Danksagung genannten frei erfunden. Darüber hinausgehende Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.“So steht es da.
Natürlich ist die Rückversicherungsklausel auch Julia Bruns‘ neuem Krimi vorangestellt. Darauf wird der Verlag schon geachtet haben. Der will ja nicht vor Gericht. Auch nicht mit einem Heimat-krimi.
Nichtsdestotrotz, aber das ist ja auch gängige Praxis bei allem, was irgendwo als Fiktion daherkommt, ist das mit dem Zufall, mit Verlaub, eine glatte Lüge.
Allenfalls, dass das aus den Vorgängern gut eingeführte gegensätzliche Ermittlerduo aus Timo Kohlschuetter (schwerenötriger, bindungsängstlicher Frauenschwarm östlicher Prägung) und Friedhelm Bernsen (kauziges West-nordlicht unter der pudel-verstärkten Ehefuchtel einer Fernbeziehung) ausgerechnet an dessen bisherigem Arbeitsplatz, Clerics Waldgaststätte, per Handyfoto die Identität des ersten Opfers klären, ist einer. Kommissar Zufall greift da den beiden im Dauerclinch Liegenden unter die Arme.
Von den Leichen und denen, die sie auf dem Gewissen haben, einmal abgesehen, sind die Krimi-protagonisten jedoch ansonsten keineswegs zufällig zwischen den beiden Buchdeckeln unterwegs. Die Personage taucht sogar fast durchweg mit Name und Hausnummer auf.
Ausnahme ist ausgerechnet der Bürgermeister, dessen von chronischer Leere in der Stadtkasse geplagtes Hoheitsgebiet von einer unerhörten und sich mit atemberaubender Geschwindigkeit ausweitenden Mordserie erschüttert wird.
Dessen Name steht dafür im Abspann. Mit rudimentären Resten volksbildungs-vererbter Kenntnisse – wahlweise im Russischen oder auch in der Chemie – hätte es dieser Aufklärung aber auch nicht bedurft.
Süß, Zucker, Sachar, Sacharose – Zachar.
Da haben wir doch Kindelbrücks Stadtoberhaupt! Und wie im richtigen Leben ist der Mann das nur ehrenamtlich und ansonsten Zahnarzt.
Das ist eine Crux von „Äpfel und Dirnen“: Abseits vom Plot ist der Krimi fast zu nah an der Realität. Alles ist sauber recherchiert. Die Region breitet sich aus, Panorama-museum, Dreyse-haus, Beichlingens Ddr-ferienlager, Kindelbrücks ehemalige Kofferfabrik, die Ausgrabungsstätte des Homo erectus bilzinglebenensis. Und doch: Genau das legt der Autorin Fesseln beim Fabulieren an. So leicht von der Hand wie die Vorgänger ging ihr Nummer 3 der Reihe wohl nicht...
Wer benannt wird, wie er heißt, muss auch beschrieben werden, wie er ist.
Den freundlichen Herrn Bürgermeister dann noch als diabolisch herauszuarbeiten, wie er seinen Schäfchen – und denen aus der Nachbarschaft – mehr als nur auf den Zahn fühlt und so vielleicht eine falsche Fährte zu legen, das geht dann nicht.
Dem Leser nimmt diese Offensichtlichkeit einen Teil des Spaßes. Es ist klar, wer wer ist. Keine Suche nach dem heimlichen Vorbild, kein Feixen darüber, eines dieser kleinen Rätsel – vielleicht – gelöst zu haben.
Bogk ist hier Bogk, Fischer ist Fischer. Stengler ist Stengler.
Vom Lenker von „Struppi 33“und seiner Schlangenfang-heldentat (hier ohne Krankenhauseinweisung) bis zur Altarbild gewordenen Jesus-reinkarnation des örtlichen Floristen (ohne Namensnennung) hätten die verwendeten Schmuckelemente so in dieser Zeitung stehen können – und sie haben es.
Das ist nicht ehrenrührig. Das Leben schreibt die besten Geschichten. Außerhalb der Kreisgrenzen werden sie die schlichtweg für frei erfunden halten. Das gibt es nicht! Doch. Und wie!
Innerhalb des Verbreitungsgebiets erhöht deren Rezitation nur die Glaubwürdigkeit.
Vielleicht ist ja an allem anderen auch was dran . . .
Am Sündenpfuhl rund ums Gründelsloch eventuell?
Die neue, noch sehr kindliche aktuelle Gründelslochfee wird schon beim Prolog knallrot werden, sollte sie das Buch in die Hände bekommen.
Sex sells!
Aber so schlimm und explizit wird es dann doch nicht, selbst wenn die Leichen splitterfasernackt aufgefunden werden.
Schön sind die Side-kicks: Dass der famose Weißenseer Bürgermeister Adler inzwischen abgewählt ist und wieder seiner wahren Berufung als Maler nachgeht, erfahren die Ermittler natürlich. Und dass der in seiner Ost-rezeption durchweg auf Krawall gebürstete Bernsen sich mit gerade mal drei halben Litern des Tafelgetränks Seiner Königlich Sächsischen Majestät ins alkoholische Nirvana säuft und auch noch neben dem abgöttisch verehrten Meeres- und Flussgetier ein Faible für Thüringer Wurst entwickelt, erstaunt.