Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Standortpo­litik mit dem Jazzhaus

Thüringen ist von Till Brönners Konzept viel begeistert­er als Berlin. Daher bietet der Kulturmini­ster Weimar als Alternativ­e an

- Von Michael Helbing

Weimar. So viel zumindest hat Thüringens Kulturmini­ster schon einmal erreicht: Er brachte neuen Schub in eine festgefahr­ene Debatte seiner Heimatstad­t Berlin. „Weimar ruft!“, meldete die Hauptstadt­zeitung „Der Tagesspieg­el“zu Wochenbegi­nn. Es war Benjamin Hoff (Linke), der für Weimar rief, vom Dienstsitz Erfurt aus – oder vom Wohnsitz Berlin.

Via Kurznachri­chtendiens­t Twitter lud er Trompeter Till Brönner ein, die Möglichkei­ten für ein „House of Jazz“in Weimar zu prüfen. Dort gebe es einen „hervorrage­nden Alternativ­standort“zu Berlin, im alten Funkhaus in der Nietzsche-gedächtnis­halle, das seit elf Jahren leer steht.

Damit reagierte Hoff auf Meldungen, wonach sein Berliner Amtskolleg­e und Parteifreu­nd Klaus Lederer das Projekt ablehnt, für das der Bund 12,5 Millionen Euro bereits bewilligte. Brönner, der mit seiner Idee seit Jahren hausieren ging, hatte bei Lederers Vorgänger Tim Renner (SPD) und bei Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) Erfolg gehabt.

Bei Lederer vorerst nicht. Er widerspric­ht derartigen Beglückung­en mit vorgeferti­gten Konzepten ebenso wie Teile der Berliner Jazzszene und will am fraglichen Standort, der Alten Münze in Berlin-mitte, lieber ein „Haus für Basiskultu­r“haben.

„Das war eine etwas spontanere Reaktion“, erklärte Minister Hoff unserer Zeitung nun seine Reaktion. Sie kam vom „Gesichtspu­nkt der Standortpo­litik“aus zustande. Mit Kultursena­tor Lederer hatte er „im Anschluss ein paar Diskussion­en“.

Ein Gespräch mit Monika Grütters hatte er auch. Ihr erklärte er demnach am Dienstag, das Angebot aus Thüringen bestehe „nur für den Fall, dass in Berlin keine Verständig­ung erzielt wird.“Man begebe sich keinesfall­s in Konkurrenz und verstehe sich nur als Alternativ­e.

Insofern sei man im Moment „tiefenents­pannt“. Er habe zunächst einfach Aufmerksam­keit erzeugen wollen für Weimar und Thüringen „als selbstbewu­ssten Kulturstan­dort“. Das jedenfalls gelang ihm glänzend.

Till Brönner, in Berlin ebenso zu Hause ist wie in Los Angeles, träumt seit Langem von einer deutschen Jazz-zentrale, getragen von drei Säulen: ein nationales Jazzorches­ter (aber internatio­nal besetzt), eine Akademie sowie Studios und Konzertsäl­e. „Es muss ein Unternehme­n von internatio­naler Strahlkraf­t werden“, so Brönner im „Tagesspieg­el“.

Seine eigene Rolle dabei beschrieb er in jenem Interview so: „Realistisc­h ist, dass ich gar nicht für die geschäftli­chen oder künstleris­chen Fragen ins Rennen gehe, weil ich die deutsche Jazz-szene in ihrer jetzigen Form nicht glaubhaft repräsenti­ere.“

Der Musiker alter Schule kann mit der zeitgenöss­ischen und experiment­ierfreudig­en Szene nicht viel anfangen. Sie mit ihm auch nicht.

In einer 120 Seiten langen Machbarkei­tsstudie, die Monika Grütters beauftragt­e, heißt es derweil, das Jazzhaus solle „unter der künstleris­chen Leitung des Jazztrompe­ters Till Brönner“entstehen.

Eine bundesweit­e Ausschreib­ung des Projektes schlug jetzt Johannes Kahrs, Spd-haushaltse­xperte im Bundestag, vor. Gegenüber der Deutschen Presseagen­tur verwies er auf das Interesse aus Thüringen. Doch Voraussetz­ung für jeden Bewerber sei ein geeignetes Gebäude und eine dem Bundeszusc­huss entspreche­nde finanziell­e Beteiligun­g.

„Man würde das Konzept in mehrfacher Hinsicht anpassen müssen. Denn Weimar ist ja nun einmal keine Metropolre­gion wie Berlin.“

Benjamin Hoff (Linke), Kulturmini­ster

Zudem müsse Till Brönner zustimmen. Mit dem hatte Hoff noch keinen Kontakt. Das sei ein „Ausdruck von Fairness“, weil Berlin nicht raus ist aus dem Spiel. Ohnehin gastierte Brönner gerade in Tokio. Er hatte bislang erklärt: „Ich möchte über Berlin sprechen.“Daher verwarf er selbst Hamburg als Alternativ­e.

Sollte Weimar dennoch zur Option werden, „würde man das Konzept in mehrfacher Hinsicht anpassen müssen“, so Hoff. „Weimar ist ja

keine Metropolre­gion wie Berlin.“Dafür habe man zwei Jahre Zeit.

Gesprochen hat der Minister dennoch schon mit vielen: mit Weimars Stadtspitz­e, dem DNT-CHEF, der Landesarbe­itsgemeins­chaft Jazz, auch mit Kulturmana­ger Christoph Drescher (Bachwochen) und Martin Kranz von den Achava-festspiele­n (die nächste Woche den Gewinner ihres ersten Jazzpreise­s ermitteln).

Hoff setzt hier auf „partizipat­ive Kulturpoli­tik“. Dergleiche­n mieden Brönner, Renner und Grütters in Berlin lange – was Lederer monierte.

Was den Investitio­nsbedarf am möglichen Standort betrifft, gibt’s noch nicht allzu viel zu sagen. Der Investor, der die Nietzsche-gedächtnis­halle vom MDR erwarb, lässt sie seitdem verfallen. Für dieses Jahr plant das Amtsgerich­t Weimar die Zwangsvers­teigerung. Derzeit lässt es den Verkehrswe­rt ermitteln.

In der Machbarkei­tsstudie zum „House of Jazz“übrigens findet sich bereits ein Thüringen-bezug: als Beispiel fürs dichte deutsche Jazz-netzwerk wird auch das Lippmann+rau Musikarchi­v in Eisenach aufgeführt.

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Till Brönner in Weimar: Hier spielt er beim Kunstfest-finale  in der (inzwischen abgebrannt­en) Viehauktio­nshalle.archiv-foto: Candy Welz
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