Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Die Protestwelle rollt
Nordthüringer Unternehmerverband fordert von Ministerpräsident Korrektur der Pläne und damit Erhalt des Kreisstadt-status‘ für Nordhausen
Nordhausen. Nordhausen muss Kreisstadt bleiben – daran führe kein Weg vorbei. Einen Brief mit dieser Forderung an Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat der Nordthüringer Unternehmerverband (NUV) auf den Weg gebracht.
Verbandsmitglieder unterschrieben, der Vorsitzende des Wirtschaftsbeirates der IHK Erfurt im Landkreis Nordhausen, der Chef des Firmenausbildungsverbunds Nordthüringen, Bürgermeister, Landrat und insbesondere vier Landtagsabgeordnete aus dem Südharz.
In dem Schreiben, das in den nächsten Tagen vom Verband veröffentlicht wird, verpflichten sich die Unterzeichnenden, dem Vorschlag des Thüringer Innenministers in der jetzigen Form im Landtag nicht zuzustimmen.
Landrat Matthias Jendricke (SPD) warb beim NUV für eine Zusammenlegung von Landkreisen, auch aus wirtschaftlicher Sicht. Allerdings könne man mit den jetzigen Vorschlägen nicht zufrieden sein, die vor allem den Kreissitz betreffen. Für Nordhausens Oberbürgermeister Klaus Zeh (CDU) ist der Kreisstadt-vorschlag „ein Tiefschlag“, dennoch sei er froh, dass bereits in dieser ersten Phase schon ein breiter Rückhalt gegen diesen Vorschlag zu vernehmen sei.
Zeh kritisierte, dass es bei den Kreissitzen keine Begründung seitens des zuständigen Ministeriums oder keine Norm gebe. Er sei gespannt, wie die Landesregierung diese Widersprüche ausbalancieren wolle. Wohl aber müsse ein starker Protest gestaltet werden.
Bürgermeisterin Jutta Krauth (SPD) berichtete von einer schon jetzt großen Resonanz zum Erhalt des Kreissitzes für Nordhausen.
Dass der vorgelegte Vorschlag keine Option für die Nordhäuser Region sei, bekräftigte Inge Klaan, Oberbürgermeister-kandidatin der CDU. Sie warb für den „Besuch“von möglichst vielen Nordhäusern am kommenden Dienstag (2. Mai) vor der Thüringer Staatskanzlei, zu dem sie auch Unternehmer der Region einlud.
Der fraktionslose Landtagsabgeordnete Siegfried Gentele sagte, dass er die Gebietsreform von Beginn an abgelehnt habe, allerdings eine Verwaltungs- und Strukturreform begrüße.
Vertreter aller Nordhäuser Stadtratsfraktionen werden am Dienstag gemeinsam mit dem Bus zu einer Kundgebung vor der Thüringer Staatskanzlei fahren. Die Busse starten um 6.30 Uhr vor dem Rathaus. Alle Bürger sind aufgerufen, mitzufahren. Anmeldung unter (03631) 696 400. Die Demonstration steht unter dem Motto „Nordhausen ist und bleibt Kreisstadt“. Darauf hatten sich die Fraktionsführungen am Vorabend geeinigt. An diesem Tag berät das Thüringer Kabinett erstmals über die Vorschläge von Innenminister Poppenhäger. Diese beinhalten, dass Nordhausen seinen Kreissitz verliert.
„Willkommen sind alle Bürger, Geschäftsleute, Vertreter der Interessengruppen, Gewerkschaften, der Kultur und Bildung, der Sportvereine. Je zahlreicher wir vertreten sind, je stärker wird unsere Stimme sein“, meint Jutta Krauth.
Geeinigt hätten sich die Fraktionen auch auf ein gemeinsames Landrat Matthias Jendricke (SPD)
Logo für den Kampf pro Kreisstadt Nordhausen: „Leitfigur ist unser Roland mit seinem Schwert, mit dem wir symbolisch um Gerechtigkeit und Vernunft kämpfen wollen. Gerechtigkeit und Vernunft heißt, dass die größte und wichtigste Stadt Kreissitz bleiben muss. Das ist Nordhausen“, so Frau Krauth.
Das Logo werde sich wiederfinden auf großen Bannern am Rathaus, dem Theater und am Bürgerhaus sowie auf Plakaten. „Diese Plakate auszulegen und auszuhängen, bitten wir die Geschäftsleute der Stadt. Darüber hinaus werden wir Unterschriftslisten vorbereiten, die wir an Minister Poppenhäger senden werden“, so die Bürgermeisterin.
Zudem wolle man Innenminister Poppenhäger zu einem „offenen und freien Bürgerdialog“einladen, sie werde diesbezüglich einen „höflichen Brief“an Herrn Poppenhäger verfassen, so Krauth. Nach einstimmigen Beschlüssen sowohl im Spd-kreisvorstand als auch in der Spd-kreistagsfraktion schlossen sich gestern
die Mitglieder der Aktion der Stadt Nordhausen an.
„Die Gebietsreform ist richtig und wichtig, schon lange ein Thema, das die Sozialdemokratie beschäftigt, aber den aktuellen Stand, dass Sondershausen Kreisstadt wird, das werden wir nicht stillschweigend akzeptieren“, so Matthias Ehrhold, der Kreisvorsitzende der SPD im Landkreis.
Am Abend kündigte der Landrat im Kreistag an, im Kampf um den Erhalt des Kreisstadt-status‘ für Nordhausen alle Streitereien beiseite schieben zu wollen. Den Kreistag schwor er auf Geschlossenheit ein, wiederholte seinen Aufruf zu kämpfen. In diesem Fall sieht Jendricke die knappe Mehrheit der rot-rot-grünen Koalition in Erfurt als Chance. Diese sei schnell zu kippen. „Fest steht, jetzt hat die Frage der Gebietsreform alle Menschen erreicht. Bisher war vielen die Dsl-versorgung wichtiger.“
Einer, der 1994, bei der letzten Kreisgebietsreform, schon im Landtag saß, ist Egon Primas. Damals gab es noch Kompensationsmöglichkeiten für Städte, die den Kreissitz verloren. Artern erhielt die Bußgeldstelle, in Worbis gab es das Staatliche Schulamt. Diesmal werde es nichts geben. Man dürfe sich aber von der Landesregierung nicht gegeneinander aufhetzen lassen. Man müsse für Nordhausen, nicht gegen Sondershausen kämpfen.
„Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist reine Landnahme.“Der Cdu-fraktionschef wirbt deshalb dafür, Unterschriften gegen die gesamte Gebietsreform zu leisten.
Das wiederum ist der Landtagskollegin Dagmar Becker (SPD) zu viel. Man könne die Reform nicht über einen Kamm scheren. Ihre Abneigung richtet sich allein gegen die Kreisstadtvorschläge. Das Gesetz werde im Landtag landen und dort in dieser Form nicht durchkommen.
Im Vorschaltgesetz sei eben ein wichtiger Fehler, entgegnete Primas: dass es keine klare Linie gebe zur Benennung der Kreisstädte, etwa dass immer die größte Kommune den Status behält.
über das klare Bekenntnis der rot-roten Südharzer Landtagsabgeordneten
Zeh: Innenministerium liefert keine Begründung
Jendricke: Nordhausen muss zusammenstehen
Noch deutlicher konnten sie sich nicht für eine Sache aussprechen. Dagmar Becker (SPD) und Katja Mitteldorf (Linke) werden dafür in Erfurt sicher keine Liebesgrüße ernten, aber die beiden Landtagsabgeordneten haben sich entschieden: und zwar für ihren Landkreis. Das taten sie mündlich, aber auch schriftlich in einem Brief an ihren eigenen Ministerpräsidenten.
Zuvor hatte schon die ranghöchste Südharzer Linke, Bauministerin Birgit Keller, Position gegen die Pläne des Ministerkollegen Poppenhäger bezogen, Nordhausen den Kreisstadt-status zu entziehen.
Für sie alle gibt es kein Zurück. Mag man Deals anbieten, mag es Fraktionszwang bei der Abstimmung geben. Wenn die drei Damen ihr Gesicht nicht verlieren wollen, müssen sie stehen. Im Zweifel um den Preis ihrer politischen Karriere.
„Jetzt hat die Frage der Gebietsreform alle Menschen erreicht. Bisher war vielen die Dsl-versorgung wichtiger.“