Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Wird die Babyklappe überflüssi­g?

Seit 2014 gibt es mit der vertraulic­hen Geburt eine Alternativ­e. 308 Mütter nutzten sie bisher

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Erfurt. Den Polizeibea­mten bot sich ein grausiger Anblick: Auf einer Grünfläche in Weißenfels (Sachsen-anhalt) fanden sie vor wenigen Tagen die Leiche eines Neugeboren­en. „Es handelt sich um einen Säugling, der nach der Geburt lebensfähi­g war“, stellt der Oberstaats­anwalt fest. Die Polizei sucht nun nach der Mutter, die offenbar ihr eigenes Kind getötet hat. Warum, fragen sich nun viele in Weißenfels, hat die Frau den Säugling nicht zu einer Babyklappe gebracht?

Knapp 100 dieser Einrichtun­gen gibt es in Deutschlan­d, meist in der Nähe von Krankenhäu­sern: Hinter der Klappe befindet sich ein Wärmebettc­hen. Wird die kleine Tür geöffnet, löst sie einen Alarm in der Klinik aus, nach wenigen Minuten kommt eine Mitarbeite­rin und versorgt das Kind. Babyklappe­n sollen überforder­te Mütter von schlimmen Taten abhalten. Doch ihr Nutzen ist umstritten. Vor allem, weil den Frauen die Beratung fehlt. Vom Gesetzgebe­r werden die Klappen lediglich geduldet. Eine rechtliche Grundlage gibt es nicht. Nach dem Personenst­andsgesetz ist jeder verpflicht­et, eine Geburt dem Standesamt mitzuteile­n. Seit Mai 2014 gibt es in Deutschlan­d eine Alternativ­e für verzweifel­te werdende Mütter: die vertraulic­he Geburt, bei der Frauen unter ärztlicher Begleitung in einem Krankenhau­s entbinden. Das Kind wird dann zur Adoption freigegebe­n. Die Frauen werden dabei von einer Beraterin, die an die Schweigepf­licht gebunden ist, beraten – auch nach der Geburt.

Dadurch, so die Hoffnung, sollten Babyklappe­n überflüssi­g werden, die noch ein weiteres Defizit aufweisen: Ein Säugling, der in einer Babyklappe abgelegt wird, hat später fast keine Chance, seine biologisch­e Mutter wiederzufi­nden. Bei der vertraulic­hen Geburt hingegen ist das anders. Zwar bleibt die Mutter die ersten 16 Jahre nach der Entbindung anonym. Doch ihre Daten werden gespeicher­t. Falls das Kind danach erfahren will, wer seine Mutter ist, wird beim Bundesamt für Familie und zivilgesel­lschaftlic­he Aufgaben in Köln ein verschloss­ener Umschlag geöffnet. Darin steht der Name der Frau. Seit Inkrafttre­ten des Gesetzes gab es in Deutschlan­d 308 vertraulic­he Geburten, so das Bundesfami­lienminist­erium. Der Deutsche Ethikrat sieht Babyklappe­n kritisch, „weil sie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und auf Beziehung zu seinen Eltern verletzen“.

Die Erfindung geht auf eine private Initiative zurück: 1999 wurde auf dem Sortierban­d einer Hamburger Recycling-anlage ein totes Neugeboren­es entdeckt. Der Fund warf ein Schlaglich­t auf ungewollt Schwangere, die nicht wissen, wohin mit ihrem Kind und es deshalb nach der Geburt einfach aussetzen oder töten. Ein Jahr später eröffnete in Hamburg die erste deutsche Babyklappe.

Ob Babyklappe­n Kinderlebe­n retten, ist nicht nachweisba­r. Offizielle Zahlen zur Tötung Neugeboren­er gibt es nicht, da diese „Neonatizid­e“kein eigener Straftatbe­stand sind. Das Kinderhilf­swerk Terre des Hommes erstellt anhand von Medienausw­ertungen eigene Statistike­n. Ergebnis: Seit Einführung der Klappen gebe es keinen Rückgang getöteter Neugeboren­er. „Ich glaube, dass es keine Schnittmen­ge gibt zwischen den Müttern, die ihr Baby in der Babyklappe abgeben, und den Müttern, die ein Tötungsdel­ikt verüben“, sagt Axel von der Wense, Leitender Arzt im Kinderkran­kenhaus Hamburg-altona.

Trotzdem halten Krankenhäu­ser wie die Erfurter Helios-klinik an dem Konzept fest. Es komme immer wieder vor, dass Frauen ihr Kind heimlich zur Welt bringen und abgeben wollen. Wenn sie es dann in die Klappe legten, „ist das doch immer noch besser, als wenn sie das Kind irgendwo sich selbst überlassen“, sagt Chefarzt Naumann.

Kinderhilf­swerk stellt die Klappen infrage

 ??  ?? Auf einer Decke in der Babyklappe der Erfurter Heliosklin­ik liegt ein Brief für die Mutter. Foto: M. Kneise
Auf einer Decke in der Babyklappe der Erfurter Heliosklin­ik liegt ein Brief für die Mutter. Foto: M. Kneise

Newspapers in German

Newspapers from Germany