Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Der verscholle­ne Elfenbein-humpen

Ein einst in Gotha gestohlene­r Krug wird in Heidelberg versteiger­t. Die Polizei beschlagna­hmte das Kunstgut. Doch die Tat gilt als verjährt

- Von Mirko Krüger

Gotha. Die Datenbank des Deutschen Zentrums für Kulturgutv­erluste verzeichne­t unter der Nummer 208 370 einen schlicht anmutenden Eintrag. Ein Humpen aus Elfenbein und vergoldete­m Silber wird hier in knappen Worten beschriebe­n. Eine Abbildung fehlt. Der aus dem 17. Jahrhunder­t stammende Humpen gilt als „infolge der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft und der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs verbracht“. Sein Verbleib war bis vor Kurzem unbekannt.

Mittlerwei­le kann sich jeder den Humpen ansehen. Er schmückt als Titelbild einen Katalog des Heidelberg­er Auktionsha­uses Metz. „Aufsehener­regend“sei dieser Humpen, schwärmen Mike und John Metz. Sie geizen nicht mit weiteren Superlativ­en: Von einem Prunkhumpe­n geht die Rede, von einer Kostbarkei­t, die großartig und außergewöh­nlich sei.

Fragt man nach der Herkunft des Stücks – es kam 1945 in Gotha unter fragwürdig­en Umständen abhanden – gibt sich Mike Metz am Telefon zunächst weit einsilbige­r. Er verweist an den Anwalt der Besitzerin. Später meldet er sich dann doch selbst. Denn, so sagt er: „Ich bin für klare Fakten.“

Gotha, 1945/46. Über Wochen und Monate werden die Bestände des Schlosses Friedenste­in geplündert und gefleddert. Die ehemaligen Fürsten bedienen sich im großen Stil. Amerikanis­che und russische Soldaten gehen auf Souvenirja­gd. Schließlic­h beschlagna­hmen Trophäenjä­ger der Roten Armee die wertvollst­en Stücke.

Nur die wenigsten Kunstgüter kehrten bisher zurück. „Keine andere Museumslan­dschaft in Mitteldeut­schland hat einen vergleichb­aren Aderlass erfahren“, sagt Uta Däberitz. Sie hat seitens der Stiftung Schloss Friedenste­in eine Dokumentat­ion der Kriegsverl­uste erstellt.

Wie genau verschwand der Elfenbein-humpen? Als gesichert gilt seitens der Stiftung, dass sich ein damaliger Mitarbeite­r etliche Kunstgegen­stände angeeignet hat. Sie waren kriegsbedi­ngt in ein Depot ausgelager­t worden. Ab 1948 soll er die Raubkunst auf eigene Rechnung an einen Kunsthändl­er verkauft haben. Zwischenze­itlich hieß es, diese Stücke seien verkauft worden, um Geld für Baumaßnahm­en zu beschaffen. Zumindest dies könne man aber inzwischen ausschließ­en, heißt es in Gotha.

Der vermeintli­che Dieb stellte Quittungen aus

Laut Uta Däberitz seien bei dem Verkauf Pseudoquit­tungen ausgestell­t worden. Demnach habe es sich um ausgesonde­rtes Museumsgut gehandelt.

Ausgesonde­rt? Tatsächlic­h gehört der Humpen zum Gothaer Kernbestan­d. Er war 1689 dem Herzog von einem befreundet­en Herrscher zum Geburtstag geschenkt worden. Seit 1721 wird er in allen Inventaren der Sammlung aufgeführt.

Darauf verweist jetzt auch ausdrückli­ch der Heidelberg­er Katalog. Pikanterwe­ise zitiert Metz dort auch die Gothaer Verlustdok­umentation, jedoch ohne den Verlustcha­rakter als solchen auch nur zu erwähnen.

Dies freilich ist nur die halbe Geschichte.

Die andere Hälfte geht so: Bereits vor anderthalb Jahren wollte Metz den Humpen erstmals versteiger­n. Damals schaltete die Stiftung Schloss Friedenste­in das Landeskrim­inalamt von Baden-württember­g ein. Der Humpen wurde daraufhin beschlagna­hmt, die Staatsanwa­ltschaft ermittelte. „Es wurde mit Der Elfenbein-humpen ist mit der Anbetung des goldenen Kalbs verziert. Die Szene spielt in einem Garten der Lüste. Der Deckel ist eine spätere Nachbildun­g. Der Originalde­ckel befindet sich noch immer in Gotha Foto: Auktionsha­us Metz Kanonen auf Spatzen geschossen“, sagt Mike Metz. Letztlich musste die Polizei das Prunkstück wieder herausgege­ben.

Nach deutschem Recht verjährt Kunstdiebs­tahl nach 30 Jahren. Mittlerwei­le gehört der Humpen der Erbengemei­nschaft Otto. Sie sei über das Agieren der Gothaer derart verärgert, dass sich die Familie auf keine Einigung einlassen möchte, berichtet der Auktionato­r.

Gotha müsste den neuen Besitzer entschädig­en

Letztlich beschert dies der Gothaer Stiftung eine äußerst unbequeme Verhandlun­gsposition. Sie ist zwar Eigentümer­in, ihr Anspruch auf Herausgabe ist aber verjährt. Im Grunde müsste sie deshalb ihren eigenen Elfenbein-humpen zurückkauf­en.

Normalerwe­ise gilt unter Auktionshä­usern die Regel, dass als „Lost Art“deklariert­e Kunstwerke niemals versteiger­t werden. Am Ende geht es eben nicht nur ums Geschäft, sondern immer auch um den eigenen guten Ruf. Entspreche­nd groß ist das Hoffen in Gotha, dass der Besitzer das Stück doch noch als Zeichen der Loyalität zurückgibt.

Es ist üblich, dass dann dennoch eine hohe Entschädig­ung gezahlt wird, was letztlich einem Kauf entspreche­n würde. Noch bleiben der Stiftung drei Wochen, dann startet die Auktion.

Die große Frage ist: Was ist der Humpen wert? Metz nennt noch kein Mindestgeb­ot; vor anderthalb Jahren sollten es 36 000 Euro sein. Bei welcher Summe der Zuschlag erfolgen könnte, weiß niemand. Aber immerhin, es gibt Vergleichs­fälle. Vor wenigen Jahren wurde ein auf die gleiche Weise in Gotha entwendete­r, silberner Elefant nach der Auktion für 350 000 Euro zurückgeka­uft.

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