Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
„Medien dürfen vor Fake News nicht klein beigeben“
Radiomacher Stefan Raue warnt bei der ersten Ringvorlesung im Landtag vor Gefahren für die Demokratie
Erfurt. Fake News sind eine Gefahr für die Demokratie. Sie untergraben und zerstören bewusst das Vertrauen in Politik, Medien und gesellschaftliche Akteure. Darin sind sich alle Redner beim Auftakt der ersten Reihe gemeinsamer Ringvorlesungen von Thüringer Landtag, Universität Erfurt und Mediengruppe Thüringen einig.
Das Thema des Startvortrages lautet „Wer hat Angst vor Fakenews? Warum wir souveräner mit Lügen, Fälschungen und Fake News umgehen sollten“. Bewusst habe man dafür den Plenarsaal des Landtages gewählt. Im Publikum sitzen neben Abgeordneten und Medienvertretern auch viele Erfurter Studenten.
Eine Voraussetzung des politischen Dialoges sei der respektvolle und anständige Umgang miteinander, sagt Landtagspräsident und Hausherr Christian Carius (CDU) bei seiner Begrüßung. „Wir müssen aber auch anerkennen, dass die Wahrheit nicht gepachtet wird von einer Mehrheit oder einzelnen Personen. Eine Grundvoraussetzung von Demokratie ist, dass die Wahrheit viele Perspektiven und jede dieser Sichtweisen ihre Berechtigung haben kann. Sachverhalte dürfen deshalb nicht pauschal tabuisiert oder als Fake News abgetan werden, sondern wir müssen uns intensiver damit auseinandersetzen“, so Carius.
In seiner Einleitung weist Mediengruppen-geschäftsführer Michael Tallai darauf hin, dass Fake News keine Erfindung unserer Zeit sind. Der Medienmacher nennt das Beispiel des Verlegers James Gordon Bennett jr. (1841 bis 1918), der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Herausgeber des „New York Herald“einen dramatischen Zoo-ausbruch komplett erfand, um die Auflage seiner Zeitung zu steigern.
Insofern sei der Vorwurf Fake News gar nicht falsch, wenn er sich darauf beziehe, dass Medien Fehler machen oder falsch berichten. „Journalisten sind Menschen und machen Fehler, deshalb machen auch Medien Fehler oder bewerten Dinge falsch. Die Aufgabe des Journalisten ist es, die Flut von Nachrichten zu filtern, das wichtige herauszuarbeiten, zu bewerten, in Zusammenhänge zu stellen und auch kritische Rückfragen zu stellen “, sagt Michael Tallai.
Allerdings meinten die, die den Medien heute Fake News vorwerfen und von Lügenpresse sprechen, weniger solche vermeidbaren Fehler. Nicht das wie der Auswahl werde kritisiert, sondern die Tatsache, dass überhaupt ausgewählt und gewichtet werde. „Damit richtet sich der Vorwurf gegen die Kernaufgabe einer freien Presse in einer demokratischen Gesellschaft. Wir dürfen das nicht abtun und ignorieren, sondern müssen uns dem stellen.“
Mit Stefan Raue hat man einen versierten Nachrichtenmann und Kenner der Medienlandschaft für die Auftakt-ringvorlesung gewonnen. Der 59Jährige gebürtige Wuppertaler absolvierte Stationen bei WDR, Rias, Deutsche Welle und dem ZDF, war von 2011 an sechs Jahre lang Chefredakteur des MDR und leitet seit September 2017 das Deutschlandradio als Intendant. Nach Meinung von Raue sind die Debatten über die Fake News auch Ausdruck einer Legitimationskrise von Politik und Medien. „Häufig führt uns erst die Krise vor Augen, wie wenig selbstverständlich und fragil viele ist. Über Vertrauen und Misstrauen denken wir meist erst gründlich nach, wenn es bereits zu Störungen und Problemen gekommen ist“, sagt der Redner.
Fake News scheinen nach Raue für den ganzen Schlamassel zu stehen, in dem wir uns weltweit vor allem in den westlichen Demokratien befänden. „Wohin wir schauen – Fake News. Wenn wir nicht durchblicken – Fake News. Wenn etwas passiert, mit dem wir nicht gerechnet haben – Fake News. Der Meisterproduzent der Fake News, Donald Trum ist zugleich auch ein Meister darin, seinen Gegnern Fake News zu unterstellen“, sagt Raue. In den Mittelpunkt rückten die Kategorien Wahr und Falsch auch, weil vieles wie etwa der Sieg Trumps, die Macht Putins, der Brexit oder die Mobilisierung des Rechtspopulismus in Europa rätselhaft erscheinen.
„Fake News verfälschen den demokratischen Diskurs, verstoßen gegen elementare Regeln von Transparenz und Ehrlichkeit, vergiften die Atmosphäre. Wesentlich ist die Sehnsucht nach Machtworten, Ansagen, einfachen Lösungen und autoritärem Durchgreifen. Sie erschüttern die Demokratie und ihren Wesenskern, den Pluralismus. Ihre Bekämpfung ist damit erste Bürgerpflicht“, sagte Raue.
Meist gehe es bei Fake News nicht vordergründig um die Lüge, sondern darum, bewusst zu zerstören und zu verunsichern. Raue beschreibt die Schwierigkeiten, vor die eine Flut von Falschmeldungen bis aus den höchsten Kreisen der Mächtigen die Medien stellen.
So seien Donald Trump im Verlaufe seines Präsidentenwahlkampfes 400 Lügen nachgewiesen worden, trotzdem hätten ihn die Leute gewählt.
Gerade in Konfliktregionen gehöre die gezielte Desinformation zum Alltag. Je größer eine Lüge, desto bereitwilliger werde sie oft geglaubt, alte Muster der Aufklärung funktionierten oft nicht mehr. „Es gibt ein Bedürfnis nach einfachen, zauberhaften, horrorisierenden Geschichten.“Dennoch dürften Medien nicht klein beigeben. Es gelte immer weiterzumachen und den Dingen auf den Grund zu gehen, sagte Raue mit den Worten eines amerikanischen Journalisten-kollegen.
Auch ein Donald Trump twittere schließlich immer weiter. Die klassischen Leitmedien hätten bei vielen Menschen noch immer eine große Glaubwürdigkeit, die gelte es zu nutzen und durch gründliche und beharrliche Recherche immer wieder zu rechtfertigen.
„Wichtige Bühne der Fake News ist das Internet – wer Fake News bekämpfen will, muss in die digitale Welt hineinwirken“, sagt der Intendant.
In der anschließenden, von Universitäts-präsident Walter Bauer-wabnegg geleiteten Diskussion wird Stefan Raue wiederholt gefragt , wie man seriöse Nachrichten und Fake News erkennen kann. eine Patentrezept dafür gebe es nicht, sagt der Angesprochene. „Probieren geht über Studieren. Wählen Sie die Medien ihres Vertrauens, das machen Sie beim Arzt oder Apotheker auch. Die Arbeit kann ihnen keiner abnehmen. Es gibt ein reichhaltiges Angebot, finden Sie das, was am meisten Ihren Interessen entspricht.“
In einem Punkt widersprach Raue: Die Zeiten heute seien nicht schlechter als früher, aber anders. „Junge Menschen sind heute nicht unpolitischer oder weniger interessiert. Sie haben aber einen anderen Zugang zur Welt. Darauf müssen auch wir Ältere uns einstellen.“
Angriffe gegen Kernaufgabe der Medien
Medien müssen im Internet aktiv sein