Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Richterin: „Man hat ihr das Gesicht genommen – ihre Identität“
Im Prozess wegen versuchten Mordes an einer Prostituierten verhängte das Landgericht Erfurt Haftstrafen zwischen acht und zehneinhalb Jahren gegen vier Angeklagte
Erfurt. „Jeder sollte sich einmal vorstellen, früh in einen Spiegel zu schauen, um dann zu erkennen, dass man anders aussieht.“Richterin Sabine Rathemacher fand gestern für ihre Urteilsbegründung deutlich Worte, um das Ausmaß der begangenen Verbrechen zu beschreiben. Der Frau sei ihr Gesicht genommen worden, ihre Identität.
Bei einem Überfall auf eine Prostituierte in Gotha wurde im Juni 2014 nach Ansicht des Gerichts so brutal auf das Opfer eingeschlagen, dass die Ärzte, von gebrochenen Knochen gerissene Löcher in ihrem Kieferbereich bei einer Notoperation als Zugang für das Chirurgenbesteck nutzen konnten. Ein Gutachter erklärte im Verfahren, dass sich das Opfer wie eine „lebende Leiche“vorkomme, da sie fast kein Gefühl mehr im Gesicht habe und auch anderen Menschen gegenüber kaum noch etwas empfinden könne. Das Landgericht Erfurt verurteilte gestern vier Männer wegen eines gemeinsamen Mordversuchs in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und schwerer Körperletzung zu Haftstrafen zwischen acht und zehneinhalb Jahren. Damit bewegte sich das Gericht im Strafrahmen, der in der Vorwoche bereits von der Staatsanwaltschaft gefordert wurde.
Motiv für die Tat war Habgier. Die Männer hätten sich dazu verabredet, die Frau zu überfallen. Ihre Beute betrug 700 Euro Bargeld sowie diverser Goldschmuck der Frau, die in ihrer Freierwohnung in Gotha überfallen worden war.
Die vier aus Rumänien stammenden Angeklagten wirkten nach der Verkündung der Strafen erschüttert. Für zwei von ihnen hatten die Verteidiger Freisprüche gefordert. Bei den beiden anderen Angeklagten plädierten ihre Anwälte für Haftstrafen von dreieinhalb und sechs Jahren. Alle Verteidiger erklärten gestern noch im Gerichtssaal, Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen zu wollen.
Die Nebenklage zeigte sich dagegen zufrieden. Wichtig für ihre Mandantin sei, dass der Prozess beendet ist und die Angeklagten für ihre Taten bestraft werden. Die Höhe der Verurteilung sei nicht so entscheidend, sagte Rechtsanwältin Susann Wipper. Jedes neue Verfahren sei für ihre Mandantin aber wieder eine Belastung, weil sie den Schrecken erneut erleben müsse.
Die Angeklagten müssen dem Opfer einer Entschädigung in Höhe von 50 000 Euro plus der auflaufenden Zinsen zahlen. Diese Summe ist von den Verurteilten gemeinsam aufzubringen. Ob die misshandelte Frau das Geld jemals erhalten wird, bleibt vorerst ungewiss, da bei den Angeklagten derzeit kaum etwas zu holen ist. Zwei der Männer hatten sich bereits freiwillig zu Entschädigungszahlungen bereiterklärt und sich auch beim Opfer entschuldigt.
Der Prozess musste vor der sechsten Kammer am Landgericht Erfurt neu aufgerollt werden, weil der Bundesgerichtshof im Vorjahr das erste Urteil der Schwurgerichtskammer kassiert hatte. Damals sollten die Männer zwischen zehn und elf Jahre hinter Gitter.
Im komplett neu aufgerollten Verfahren wurde noch einmal das Gros der Zeugen, der Ermittler und Gutachter vernommen. Auch die damals schwer misshandelte Frau sagte erneut aus und saß einen Tag lang ihren Peinigern wieder im Gerichtssaal gegenüber.
Verteidiger kündigen Revision an