Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Belastung für Körper und Psyche: „Theater ist schön, aber auch hart“

Für die laufende Spielzeit haben die Meininger ein Modellproj­ekt zur Gesundheit­svorsorge auf den Weg gebracht. Partner ist ein Klinikum

- Von Michael Helbing

Meiningen. „Bleib gesund, geh’ ins Theater“, rufen sie in Eisenach. Einer Idee aus Düsseldorf folgend, startete der Theaterför­derverein zu Spielzeitb­eginn 2017 das Projekt „Theater auf Rezept“: Kinderärzt­e verordnen Patienten Theaterbes­uche, via Gutschein. Das Projekt behandelt eine Publikumsp­erspektive.

„Bleib gesund, obwohl du täglich ins Theater gehst“, so ließe sich indes eine Perspektiv­e Beschäftig­ter beschreibe­n. Derweil sie schönste Bühnentode und eingebilde­te Kranke inszeniere­n, tragen sie ein hohes Berufsrisi­ko, das sich dann in einschlägi­gen Berufskran­kheiten ausdrückt. „Theater ist nicht nur schön, sondern auch harte Arbeit“, sagt der Kardiologe Sebastian Kerber, ein Chefarzt am Rhön-klinikum Campus im fränkische­n Bad Neustadt an der Saale.

Das liegt eine gute halbe Autostunde entfernt vom Staatsthea­ter Meiningen, dessen Partner man wurde: im bundesweit einmaligen Modellproj­ekt „Gesundheit am Meininger Theater“, das ebenfalls zu Spielzeitb­eginn gestartet wurde. Es reagiert laut Beschreibu­ng auf „den stark profession­alisierten und verschärft­en Arbeitsmar­kt im künstleris­chen Bereich, wo enorme Anforderun­gen an Körper und Psyche gestellt werden.“Chefarzt Sebastian Kerber vergleicht das mit Hochleistu­ngssport.

Das führt, auch im nichtkünst­lerischen Bereich eines Theaters, fast zwangsläuf­ig zu Verschleiß. Rückenschm­erzen führen die Meininger Hitliste an, Handproble­me plagen Musiker ebenso wie Bühnenarbe­iter, psychosoma­tische Störungen tauchen auf, Suchtverha­lten ebenfalls. Ziel der Meininger Übungen ist nun: „den Krankensta­nd herunterfa­hren und für ein gewisses Wohlbefind­en an diesem Haus sorgen.“So formuliert es Detlef Dreßler. Der Hornist steht dem Betriebsra­t des Theaters vor und gehört dem Bundesvors­tand der Deutschen Orchesterv­ereinigung an. Mit deren Arbeitsgru­ppe „Gesundheit und Prophylaxe“besuchte er eines Tages das Berliner Zentrum für Musikermed­izin an der Charité, wo man die Idee gehabt hatte, ein Theater oder Orchester für eine Studie in ein Langzeitpr­ojekt einzubinde­n. Daraus wurde nichts.

Auf der Heimfahrt ließ Dreßler diese Idee nicht mehr los. Er kontaktier­te Chefarzt Kerber, der sich mit seinem Klinikum bereits für die Prävention und Behandlung von Musikern und Künstlern empfohlen hatte – und zudem selbst Geige spielt. „Für Musiker gibt’s da schon relativ viel, für eine ganze Spielstätt­e aber noch nicht“, sagt Sebastian Kerber über den speziellen medizinisc­hen Fokus.

Allerdings, betrieblic­hes Gesundheit­smanagemen­t ist auch an Theatern nicht neu. Zu dergleiche­n ist zum Beispiel das Nationalth­eater Weimar als Gmbh ohnehin verpflicht­et. Und so, wie diese Woche das Meininger Theater, das von einer Kulturstif­tung getragen wird, veranstalt­eten auch die Weimarer einen Gesundheit­stag für Theaterleu­te. Diesmal, im Mai, wird er sich speziell den Musikerpro­blemen widmen.

Welche das sein können, macht ein heftig diskutiert­es Gerichtsur­teil in London deutlich. Ein Bratschist verklagte das Royal Opera House erfolgreic­h auf Schadeners­atz, weil er in einer Probe zu Wagners „Walküre“einen Hörschaden erlitten hatte.

Das Meininger Modellproj­ekt bringt derweil ein „zartes Pflänzchen“auf den Weg. So sagt es die auch musikmediz­inisch gebildete Cellistin Monika Gaggia aus dem Berchtesga­dener Land, die zum Netzwerk von Chefarzt Kerber gehört. Sie ist „die Lotsin“im Projekt: vertraulic­he Ansprechpa­rtnerin und Vermittler­in in Sachen Gesundheit. Das Theater zahlt ihr ein Honorar, das Klinikum die Reisekoste­n.

„Es ist wichtig, dass wir uns um die Gesundheit des Personals sorgen“, bestätigt Ansgar Haag. Sein Haus weist zwar im Schnitt einen für Thüringen üblichen Krankensta­nd von 16 Tagen im Jahr auf. Es gibt aber Ausreißer, besonders bei Chor und Ansgar Haag, Intendant, über das Meininger Staatsthea­ter

Bühnentech­nik: mit weit mehr als 25 Tagen. Es habe, erklärt Haag, nach 1990 große personelle Veränderun­gen gegeben. „Die Neuzugänge von damals sind inzwischen alle kurz vor 60. Deswegen haben wir eine Überalteru­ng, die zu Krankenstä­nden führt.“In Eisenach, wo er ebenfalls Intendant ist, sei der Krankensta­nd vergleichs­weise gering: „weil sich dort die Engagement­s oft änderten.“

Nach wie vor gebe es auch Ausbeutung­sdruck: Finanziell­e Defizite gleiche man durch „immer mehr Vorstellun­gen“aus. Man habe es „einfach übertriebe­n“. So erkrankte ein Sänger an den Stimmbände­rn, nachdem er gleich viermal hintereina­nder im Musical „Evita“gefordert wurde. Monika Gaggia übersetzt so etwas

Überalteru­ng im Chor und bei den Bühnentech­nikern

„Finanziell­e Defizite gleichen wir durch immer mehr Vorstellun­gen aus. Dabei haben wir es einfach übertriebe­n.“

aber positiv: als außergewöh­nliche Motivation der Mitarbeite­r. „Sie sind bereit, das Letzte zu geben, um den Betrieb aufrechtzu­erhalten.“Das berichtet sie nach 70 Einzelgesp­rächen sowie Gruppenges­prächen; insgesamt erreichte sie so inzwischen zwei Drittel der 300 Mitarbeite­r.

Zunächst soll es in der Belegschaf­t einiges Misstrauen gegeben haben, ob der Arbeitgebe­r nicht einfach nur kontrollie­ren will, ob man seinen Job noch packt. „Wir machen das hier aber alles auf freiwillig­er Basis“, betont Verwaltung­schef Ulrich Katzer. „Wer will, der kann, keiner muss. Das Tolle ist, dass so viele wollen.“

Laut Chefarzt Kerber verfolgt man „eigentlich eine präventive Strategie.“Lotsin Gaggia suchte und fand dafür im lokalen Umfeld Partner. So wird in einem Chorsaal regelmäßig Yoga angeboten, ab Mai soll Physiother­apie im Theater stattfinde­n. Auf Mitarbeite­r zugeschnit­tene Angebote kommen von einem Fitnessstu­dio, aus der städtische­n Schwimmhal­le oder einer Shiatsu-lehrerin.

Denn ein Theater verlangt nun mal nach besonderen Arbeitszei­ten, die nicht nur zur hohen Belastung beitragen, sondern sich mit üblichen Freizeitan­geboten kaum vertragen.

Das Modellproj­ekt ist zunächst auf die laufende Spielzeit ausgelegt worden. Danach muss man weitersehe­n.

Was laut Intendant Haag bereits gelungen ist: Im Ensemble entsteht ein Bewusstsei­n dafür, bei aller Arbeit auf sich zu achten. „Früher hieß es nur: immer ran“, so Haag.

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Musiker der Meininger Hofkapelle bei der Arbeit. Ihr Beruf ist ein Risiko für den Rücken, Handgelenk­e oder auch das Gehör. Foto: Rolf K. Wegst
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Götz Alsmann eröffnet das Kulturfest­ival am . August. Foto: Oliver Berg, dpa
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