Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Einladung ins einstige Kinderkurheim
18. Erzählcafé des Bündnisses Frankenhäuser Familien-band. 250 Interessierte kommen. Einblicke in die Geschichte und ins Innere des markanten Gebäudes
Bad Frankenhausen. Am Südhang des Kyffhäusergebirges der Kurstadt, nur wenige Meter vom Hausmannsturm entfernt, befindet sich das einstige Kinderkurheim. Es ist ein sehr markantes Gebäude. Das Kurheim wurde 1992 geschlossen. Es gab mehrere Versteigerungstermine, seit einigen Jahren ist es im Besitz der BFB- Studios Berlin.
„Es gab immer mal Interessierte, die das Gebäude privat nutzen wollten. Das ist aber nicht möglich, denn das Areal ist im Flächennutzungsplan der Stadt für Kur und Tourismus ausgewiesen. Auch eine Nutzung als Seniorenheim wäre nicht möglich. Wir als Stadt wollen, dass die Ausweisung im Flächennutzungsplan so bleibt“, sagte Bürgermeister Matthias Strejc (SPD) Donnerstagabend in der Veranstaltungsreihe „Erzählcafé“des Bündnisses Frankenhäuser Familien-band.
Es habe den Beschluss des Stadtrates gegeben, das Gebäude mit dem fast 19 000 Quadratmeter großen Areal zu erwerben. Im Exposé waren 250 000 Euro angegeben. „Der Wiederverkauf durch uns ist in Vorbereitung, es gibt einen privaten Investor. Was er genau mit dem Areal machen will, da hat der Investor immer neue Überlegungen. Wir können uns als Stadt auch vorstellen, das Areal mit Unterstützung der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) selbst zu entwickeln und einen Investor zu suchen“, so Strejc.
Die beiden in östliche Richtung angrenzenden Grundstücke (Hundewiese) gehören der Stadt. So stünde eine Fläche von insgesamt rund 30 000 Quadratmetern zur Verfügung.
Bauzeit des Haupthauses betrug nur ein Jahr
Die Stadt hatte vor geraumer Zeit eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, denn man hatte hier die Idee, dass eine Feriensiedlung für Familien – der Bedarf in der Stadt dafür sei groß – entstehen könnte. Doch die Studie zeigte, dass ein großer Teil des Areals aus Naturschutzgründen nicht bebaut werden kann. Eine Feriensiedlung für Familien sei also nicht möglich.
Seit 2009 gibt es die Veranstaltungsreihe Erzählcafé. Im Mittelpunkt der öffentlichen Veranstaltung stehen Menschen und Geschichte. Dass zum nunmehr 18. Erzählcafé es ein großes Interesse geben wird, denn es wurde auf das Gelände des einstigen Kinderkurheimes eingeladen, war dem Bündnis im Vorfeld schon klar. Und hatte alles vorbereitet. Bänke und Getränke. Um die 250 Interessierte waren gekommen, um etwas über die Geschichte, den Zukunftsausblick und das Innere des Hauses zu erfahren.
Die Krankenkasse des Deutschen Angestelltenbundes entschied sich einst, in Deutschland Kurheime zu bauen. Sie erwarb in Frankenhausen das Areal, um ein Kinderkurheim zu errichten. Der damalige Verwaltungsleiter Hermann Hedrich beauftragte den Leipziger Architekten Georg Wünschmann mit dem Projekt, wie Ulrich Hahnemann, Leiter des Regionalmuseums Bad Frankenhausen, schilderte. Hedrich habe dem Architekten freie Hand gelassen. Das Baumaterial wurde durch eine Seilbahn nach oben befördert. Nach sehr kurzer Bauzeit wurde das markante, monumentale Gebäude 1927 eingeweiht.
Erst in dieser Zeit wurde die heutige Thomas-münzer-straße gebaut. Auf dem Kurheim-areal entstanden zudem Nebengebäude, terrassenförmig angelegte Liegewiesen, eine Liegehalle und Planschbecken. Das Haus hatte Platz für etwa 80 Kinder. Es gab im Nebengebäude Wannenbäder, das war schon etwas Besonderes. Dazu wurde eine Sole-leitung vom Kurpark nach oben verlegt. Die Einrichtung bekam den Namen „Hermann Hedrich Heim“. Weil er jüdische Vorfahren hatte, erfolgt im Jahr 1933 die Umbenennung in „Kinderkurheim am Hausmannsturm“.
Als Bomben auf Berlin fielen, nutzte das Reichssicherheitshauptamt dieses und mehrere weitere Gebäude in der Stadt und im Kyffhäusergebirge, sagte Hahnemann. Schon bald nach dem Krieg diente das Haus wieder als Kinderheim und dann als Kinderkurheim. Es bekam den Namen „Helmut Just“, so ist es vielen bekannt. Just war Angehöriger der Ost-berliner Volkspolizei (VP), der 1952 im Dienst an der Sektorengrenze zu Westberlin erschossen wurde.
Ulrich Hahnemann kündigte an, dass es im Januar oder Februar 2019 einen Vortrag zur Geschichte des Hauses geben wird, denn es gebe noch so viel mehr zu berichten. Informationen gab es im „Erzählcafé“auch von Ludger Thiele vom Architekturund Ingenieurbüro Petermann, Thiele, Kochanek zum Architekten und dem Hauptgebäude. Es ist dreigeschossig und hat ein ausgebautes Dachgeschoss. Man merkt es erst im Inneren, dass das etwa 45 Meter lange und 20 Meter hohe Gebäude, das mit Muschelkalksteinen verblendet ist, in der Länge ganz leicht geschwungen ist. In der Mitte befindet sich das Treppenhaus, an den jeweiligen Giebelseiten sind Nottreppenhäuser.
Der Grundriss ist einfach und zweckmäßig. Behandlungszimmer, Schlafräume, Speisesaal, Sanitäreinrichtungen, Wandschränke in den Fluren. Die Zimmer sind leer, es gibt einige Gebäudeschäden, wobei die Bausubstanz, wie zu hören war, insgesamt noch gut erhalten ist. Von 1979 bis 1987 war Ingrid Rammner Erzieherin im Kinderkurheim. Im „Erzählcafé“gab sie einige Einblicke in den Alltag. Behandelt wurden Drei- bis Sechsjährige, der Kuraufenthalt betrug sechs Wochen, die Eltern waren hier nicht mit dabei. Die Kinder kamen aus der ganzen DDR. Sie hatten vor allem chronische Bronchitis oder endogene Ekzeme. Im Haus waren um die 70 Kinder untergebracht, es gab fünf Gruppen, sie hatten Vogelnamen. Jede Gruppe hatte etwa zwei Erzieherinnen, gearbeitet wurde im Zweischichtsystem, es gab eine Nachtwache.
Jede Woche schrieben die Erzieherinnen den Eltern einen Brief. Bei manchen Kindern flossen auch mal Tränen, sie hatten in den sechs Wochen Heimweh oder die Erzieherinnen liebgewonnen, da war der Abschied nicht leicht.
Kur für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren
Ein historisches Foto zeigt den Speisesaal vom „Hermann Hedrich Heim“. Hedrich war Verwaltungsleiter einer Krankenkasse, sie war der Bauherr. Hinter dem Hauptgebäude sind im Südhang terrassenförmig Liegewiesen angelegt, Treppen führen hinauf. Ganz oben befindet sich die einstige Liegehalle. „Erzählcafé“mit Ludger Thiele (links), Ulrich Hahnemann, Ingrid Rammner sowie Katrin Milde und Silvana Schäffer vom Bündnis Familien-band.