Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Wir hielten durch
Abbruch einer Lehre kam früher nicht infrage
Zu „Jeder Vierte bricht seine Lehre ab“vom 5. April:
Als 89-Jährigen macht mich diese Meldung bestürzt. In einem Deutschland, wo wir Gott sei Dank 73 Jahre in Frieden leben, eine solch niederschmetternde Meldung. Und so fiel mir meine Lehrzeit ein, die 1943 begann.
Zuvor hatte ich die Volksschule in Struth (Eichsfeld) besucht. Unsere Klasse bestand aus zwei Jahrgängen und hatte 60 Schüler. Der Lehrer hatte während einer Stunde zweierlei Lehrstoff zu vermitteln. Das war für unseren Lehrer, aber auch für uns, nicht ganz einfach.
15 Jungs begangen am 1. April 1943 ihre Lehrzeit. Die Mädchen gingen meistens in die örtlichen Zigarrenfabriken oder die Strickereibetriebe – ohne Lehrvertrag. Wir Jungs lernten fast alle in der Kreisstadt Mühlhausen. Wenn wir in die Berufsschule gingen, war oft Fliegeralarm.
Von meinem Heimatdorf fuhr täglich ein Omnibus in die Kreisstadt. Im ersten Lehrjahr bekam ich ein Monatsentgelt von 20 Reichsmark. Die Fahrkarte kostete 13,60 Mark. So hatte ich noch 6,40 Mark zu meiner monatlichen Verfügung.
Alle 15 Jungs haben ihre 3-jährige Lehrzeit durchgehalten und im Jahre 1946 ihre Gesellenprüfung bestanden. Keiner von uns wäre auf die Idee gekommen, die Lehre abzubrechen. Das wäre für uns eine große Blamage gewesen und im Dorf hätte man mit dem Finger auf uns gezeigt. Willi Tasch, Lengenfeld unterm Stein