Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Langer Marsch ins Elend
„China und die Kulturrevolution“erhellt dunkelstes Kapitel der Geschichte des fernöstlichen Landes
Die Große Proletarische Kulturrevolution sei „eines der seltsamsten Ereignisse der Geschichte“gewesen, wird eingangs des Buches „China und die Kulturrevolution“der amerikanische Historiker John K. Fairbank zitiert. Sie hätte für westliche Beobachter China „nur noch mysteriöser“gemacht. Nun, das ist eine extreme Verharmlosung, die wohl der Perspektive des Betrachters geschuldet ist. Für die Chinesen war sie weder seltsam noch mysteriös, sondern ein von Mao Zedong gesteuerter langer Marsch ins Elend. Unzählige unschuldige Menschen fielen ihr zum Opfer.
Die sogenannte Kulturrevolution begann 1966 und endete nach zehn Jahren mit Maos Tod. China sollte, so war der Plan, über eine völlige Umkrempelung der Gesellschaft zur Supermacht aufsteigen. Das Gegenteil trat ein, wie Cornelia Hermanns resümiert: „Die von Mao verantwortete Politik hatte zur größten von Menschen verursachten Hungerkatastrophe Chinas geführt.“Das einst blühende Riesenreich war vom Ausland abgeschottet und in eine kulturelle Wüste verwandelt worden. Verantwortlich gemacht wurde dafür allerdings nicht die „rote Sonne“Mao Zedong, sondern lediglich seine Mitstreiter, die Gefolgsleute von Lin Biao. Mit der ganz in Maos Stil zelebrierten Abrechnung mit der „Viererbande“, zu der auch Maos Frau gehörte, war die Lichtgestalt von allem Blut, das an ihren Händen klebte, reingewaschen.
Deng Xiaoping habe das Verhältnis der Partei zu Mao auf eine „pragmatische Formel“gebracht, schreibt Hermanns: „Maos Leistungen seien zu 70 Prozent gut und zu 30 Prozent schlecht gewesen“. Diesen Satz bekommt man, wenn man Chinesen auf der Straße fragt, heute noch zu hören.
Cornelia Hermanns Verdienst ist es, die Abläufe und Hintergründe der historisch beispiellosen Kampagne detailliert und für deutsche Leser verständlich aufgeschrieben und die Hintergründe aufgehellt zu haben. Dabei räumt sie zugleich mit dem „Missverständnis“der 68er auf, jenen von der chinesischen Wirklichkeit völlig unbeleckten europäischen Anhänger Maos, die ihre politischen und weltanschaulichen Sehnsüchte auf die Revolutionärsfigur projizierten. „Mao, warum hast du uns verlassen?“, untertitelte die Berliner Spontiband „Ton, Steine, Scherben“.
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Cornelia Hermanns: China und die Kulturrevolution. Der letzte lange Marsch. Drachenhaus Verlag, Esslingen, S., , Euro