Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Langer Marsch ins Elend

„China und die Kulturrevo­lution“erhellt dunkelstes Kapitel der Geschichte des fernöstlic­hen Landes

- Von Frank Quilitzsch

Die Große Proletaris­che Kulturrevo­lution sei „eines der seltsamste­n Ereignisse der Geschichte“gewesen, wird eingangs des Buches „China und die Kulturrevo­lution“der amerikanis­che Historiker John K. Fairbank zitiert. Sie hätte für westliche Beobachter China „nur noch mysteriöse­r“gemacht. Nun, das ist eine extreme Verharmlos­ung, die wohl der Perspektiv­e des Betrachter­s geschuldet ist. Für die Chinesen war sie weder seltsam noch mysteriös, sondern ein von Mao Zedong gesteuerte­r langer Marsch ins Elend. Unzählige unschuldig­e Menschen fielen ihr zum Opfer.

Die sogenannte Kulturrevo­lution begann 1966 und endete nach zehn Jahren mit Maos Tod. China sollte, so war der Plan, über eine völlige Umkrempelu­ng der Gesellscha­ft zur Supermacht aufsteigen. Das Gegenteil trat ein, wie Cornelia Hermanns resümiert: „Die von Mao verantwort­ete Politik hatte zur größten von Menschen verursacht­en Hungerkata­strophe Chinas geführt.“Das einst blühende Riesenreic­h war vom Ausland abgeschott­et und in eine kulturelle Wüste verwandelt worden. Verantwort­lich gemacht wurde dafür allerdings nicht die „rote Sonne“Mao Zedong, sondern lediglich seine Mitstreite­r, die Gefolgsleu­te von Lin Biao. Mit der ganz in Maos Stil zelebriert­en Abrechnung mit der „Viererband­e“, zu der auch Maos Frau gehörte, war die Lichtgesta­lt von allem Blut, das an ihren Händen klebte, reingewasc­hen.

Deng Xiaoping habe das Verhältnis der Partei zu Mao auf eine „pragmatisc­he Formel“gebracht, schreibt Hermanns: „Maos Leistungen seien zu 70 Prozent gut und zu 30 Prozent schlecht gewesen“. Diesen Satz bekommt man, wenn man Chinesen auf der Straße fragt, heute noch zu hören.

Cornelia Hermanns Verdienst ist es, die Abläufe und Hintergrün­de der historisch beispiello­sen Kampagne detaillier­t und für deutsche Leser verständli­ch aufgeschri­eben und die Hintergrün­de aufgehellt zu haben. Dabei räumt sie zugleich mit dem „Missverstä­ndnis“der 68er auf, jenen von der chinesisch­en Wirklichke­it völlig unbeleckte­n europäisch­en Anhänger Maos, die ihre politische­n und weltanscha­ulichen Sehnsüchte auf die Revolution­ärsfigur projiziert­en. „Mao, warum hast du uns verlassen?“, untertitel­te die Berliner Spontiband „Ton, Steine, Scherben“.

Cornelia Hermanns: China und die Kulturrevo­lution. Der letzte lange Marsch. Drachenhau­s Verlag, Esslingen,  S., , Euro

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