Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Drama-queen SPD
Tim Braune über die Wahl von Andrea Nahles
Was für ein bitterer Start für Andrea Nahles. Seit drei Jahrzehnten malocht sie für die Sozialdemokratie. Als erste Frau an der Spd-spitze überhaupt schreibt sie Geschichte. Und dann wird sie von der eigenen Partei abgestraft. 66 Prozent sind eine schwere Hypothek. Viele Funktionäre glauben, es sei jetzt noch Zeit für Machtspiele. Nicht alle verweigerten Nahles aus Harakiri die Gefolgschaft, sondern können sicher gute Gründe anführen. Delegierte, die unverändert die Groko für den Grund allen sozialdemokratischen Übels halten und Nahles & Co. den Kursschwenk nach dem Jamaikaaus verübeln. Stramme Parteilinke, die Nahles nachtragen, dass sie längst den Weg in die Mitte gegangen ist, wo Macht und Ämter warten. Dazu Anhänger von Sigmar Gabriel, die es nicht verwinden können, wie kühl Nahles den populären Exaußenminister abservierte. Natürlich kostete es sie auch Stimmen, weil es eine Kampfabstimmung um den Vorsitz gab. Hätte die Drama-queen SPD es am Ende noch fertiggebracht, ihre vielleicht letzte Hoffnungsträgerin Nahles ganz in die Wüste zu schicken?
Der Schock von Wiesbaden könnte aber auch etwas Gutes bewirken. Martin Schulz erlebte die Schizophrenie der SPD von oben nach unten. Wie im Rausch schickte ihn die Partei mit 100 Prozent in die Kanzlerkandidatur – der Europäer aus Würselen brach unter dieser Last zusammen. Aber Nahles ist aus hartem Holz geschnitzt. Man kann ihr nur Erfolg wünschen. Scheitert sie, scheitert vielleicht die SPD. Das wäre in Zeiten, in denen Rechte wieder im Bundestag sitzen, ein gefährlicher Weg.