Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

„Der Staat muss die Kontrolle haben“

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn über Ärztemange­l und Telemedizi­n – und über von ihm festgestel­lte Ängste der Menschen sowie die Optionen der Thüringer CDU

- Von Johannes M. Fischer und Martin Debes

Jens Spahn wurde im Mai 1980 im Westmünste­rland geboren. 1995 trat er in die Junge Union ein und macht seitdem Karriere in der Partei, in der er sich als Vertreter des konservati­ven Flügels profiliert­e. 2014 wurde er nach einer Kampfkandi­datur ins Präsidium der CDU gewählt.

Auch sonst war der gelernte Bankkaufma­nn ein Schnellsta­rter. Schon seit seinem 22. Lebensjahr sitzt er im Bundestag, den Master in Politikwis­senschaft absolviert­e er nebenher an der Fernuniver­sität. Mehrere Jahre amtierte er als gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Unions-fraktion, ab 2015 arbeitete er unter Wolfgang Schäuble und später Peter Altmaier als Parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium. Seit gut einem Monat ist er Bundesgesu­ndheitsmin­ister.

Herr Spahn, wenn die Frage gestattet ist: Wann waren Sie zuletzt beim Arzt?

Das war vor zwei Wochen, bei meinem Orthopäden.

Und, wie lange haben Sie gewartet?

Nicht lange, eine halbe Stunde vielleicht. Das ist eine gut organisier­te Praxis.

Da haben Sie Glück gehabt. Finden Sie? Eine halbe Stunde ist sicher nicht so ungewöhnli­ch, wenn man einen Termin hat.

Wenn. Haben Sie zum Beispiel schon mal versucht, als Kassenpati­ent einen Termin beim Augenarzt zu bekommen? Viele gesetzlich versichert­e Patienten empfinden es zu Recht als unfair, dass sie länger auf einen Termin warten müssen als Privatvers­icherte. Es gibt zwar viele Ärzte, die machen da keinen Unterschie­d. Aber zu oft wird er halt gemacht. Deshalb möchten wir Telefonser­vicestelle­n einführen, am Wochenende gekoppelt mit dem Notdienst, die rund um die Uhr Termine vermitteln. Außerdem sollen Ärzte mehr Sprechzeit­en anbieten, mindestens 25 Stunden die Woche statt bisher 20. Dann müssen mehr Patienten ohne Termin behandelt werden.

Das wird die Ärzte aber freuen. Wer mehr neue Patienten annimmt, für den soll es sich auch lohnen. Wir werden da die Budgets lockern.

Das sind wohlklinge­nde Pläne. Doch was ist, wenn es an Ärzten mangelt?

Das ist eine berechtigt­e Frage. Wenn deswegen das Wartezimme­r überfüllt ist, hilft auch eine Serviceste­lle wenig. Das heißt: Wir müssen es noch attraktive­r machen, zum Beispiel als Hausarzt in eine ländliche Region zu gehen.

Es gibt doch schon Prämien und Beihilfen . . .

. . . und auch die Vergütung ist gerade in unterverso­rgten Gebieten gut. Entscheide­nd sind aber die Arbeitsbed­ingungen: Wenn man der einzige Arzt weit und breit ist, bedeutet das Überstunde­n und mehr Notdienste. Dieses Problem kann aber nicht der Bundesgesu­ndheitsmin­ister allein lösen. Denn es geht um die Grundfrage: Wie attraktiv ist der ländliche Raum? Hier müssen Bund, Land und Kommunen mehr tun – und genau das haben wir uns auch im Koalitions­vertrag vorgenomme­n.

Ostdeutsch­land besteht zu großen Teilen aus ländlichem Raum, der übrigens im Durchschni­tt deutlich stärkere Strukturpr­obleme aufweist als in den alten Ländern. Hier sind die Pläne der Bundesregi­erung reichlich unkonkret.

Das finde ich gar nicht. Wir richten zwei Kommission­en ein. Eine beschäftig­t sich mit gleichwert­igen Lebensverh­ältnissen und die andere mit Wachstum, Strukturwa­ndel und Arbeitsmar­kt.

Kommission­en? Der Solidarpak­t II läuft aus, die Eu-förderung kurz darauf, derweil die AFD im Osten regional bereits die stärkste Partei ist. Was ist also, wenn die CDU nach der Landtagswa­hl 2019 jenseits von AFD und Linke keine Mehrheit zusammen bekommt? Muss sie dann nicht mit der AFD reden?

Nein. Gerade hier in Thüringen sind die führenden Leute der AFD viel näher bei der NPD als bei uns. Ich rede da ausdrückli­ch nicht von den Wählern, sondern von den Funktionär­en. Die Wähler wollen wir zurückgewi­nnen. Aber mit diesen Afdfunktio­nären verbieten sich Gespräche von selbst.

Und mit der Linken? In der Brandenbur­ger CDU gibt es da erste Überlegung­en . . .

Ich finde schon den Gedanken an Koalitione­n mit der Linken ziemlich gewöhnungs­bedürftig. Die CDU in Thüringen hat unter Mike Mohring eine klare Strategie: Sie setzt auf ein starkes Ergebnis, um möglichst viele und gute Optionen nach der Wahl zu haben.

Dennoch sind die Extreme sehr stark im Osten. Sie haben kürzlich gesagt, viele Bürger hätten das Gefühl, es gebe rechtsfrei­e Räume. Ist das Gefühl denn berechtigt?

Das ist doch nicht die Frage. Es geht darum, dass dieses Gefühl existiert. Dass sie sich nicht überall in der Stadt sicher fühlen, haben mir auch Bürger hier in Erfurt geschilder­t. Die Menschen in den neuen Ländern haben eine sehr offene und ehrliche Art zu reden, das finde ich gut, das liegt mir. Und ich verstehe gut, dass die Bürger angesichts der großen Zahl von Flüchtling­en Fragen, und ja, auch Zweifel haben. Wir wollen, dass unsere lang gewachsene­n kulturelle­n und demokratis­chen Werte Bestand haben.

Das heißt, die Leute fühlen sich also auf dem ostdeutsch­en Land zu Unrecht abgehängt? Sie haben nur Angst vor Flüchtling­en und Wandel? Nein, ich sage nur, dass die Struktursc­hwäche eben nicht der alleinige Grund für dieses Gefühl ist. Wir wollen diesen Wandel aktiv gestalten und ihn nicht nur erleiden. Als Staat Kontrolle haben über das, was passiert, darum geht es. Auch mit der Digitalisi­erung sind viele Ängste verbunden. Aber sie kann gerade im ländlichen Raum helfen, Probleme zu lösen. Etwa, wenn mit Handyapps der Busfahrpla­n intelligen­t und bedarfsger­echt organisier­t wird. Und auch im Gesundheit­sbereich lässt sich vieles mit der Digitalisi­erung neu denken.

Sie meinen die Telemedizi­n? Ja. Studien sagen, dass 50 bis 70 Prozent der Arztbesuch­e einfache Rück- und Klärungsfr­agen sind. Die kann man natürlich auch digital machen, durch eine Onlinespre­chstunde. Der Ärztetag in Erfurt, zu dem ich natürlich auch komme, wird sich ja am 8. Mai mit der Frage beschäftig­en, ob das sogenannte Fernbehand­lungsverbo­t aufgehoben wird.

Wenn wir das richtig verstanden haben: Sie sind dafür?

Ich bin dafür, Onlinebeha­ndlungen zu erleichter­n, auch bei der Erstbehand­lung. Klar ist, das ersetzt nicht den persönlich­en Kontakt . . .

. . . den ja insbesonde­re die älteren Menschen beim Arzt oder bei anderen Patienten suchen, weil es oft ihre einzige Gesprächsm­öglichkeit ist. Wird da nicht zusätzlich­e Vereinsamu­ng in Kauf genommen?

Es würde ja keinen Zwang zur Onlinebeha­ndlung geben. Wir würden lediglich den Alltag vieler Menschen leichter machen. Außerdem ist das Schaffen von Gesprächs- und Begegnungs­räumen nicht die originäre Aufgabe eines Arztes. Es ist vielmehr unser aller Aufgabe in einer Gesellscha­ft, in der es immer mehr Alleinsteh­ende gibt. Hier müssen wir viel eher Angebote machen. Das ist übrigens auch genau die Debatte, die auch wir im Bereich der Pflege führen. Im Haushalt helfen, einfach mal vorbei schauen und reden: Auch da soll die Pflegevers­icherung unterstütz­en. Ich glaube, da würde Sie jetzt jemand, der in Erfurt in der häuslichen Pflege tätig ist, einfach auslachen.

Ich weiß, dass vieles im Argen liegt, gerade in den neuen Ländern. Viele Pfleger gehen mit 1200 oder 1500 Euro netto nach einem Monat harter Arbeit nach Hause. Hier müssen zwei Dinge passieren. Erstens benötigen wir mehr Pflegekräf­te, wir wollen in einem ersten Schritt bundesweit 8000 zusätzlich einstellen. Und zweitens müssen sie besser bezahlt werden. Beides bedingt einander. Wir wollen deshalb Tariflöhne im Pflegebere­ich bundesweit durchsetze­n. Das ist nicht ganz einfach. Aber ich arbeite da in enger Abstimmung mit Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil, damit wir schnell eine Lösung finden.

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Ärztin Beate Lenk zeigt Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) am Freitag eine Reanimatio­n im Simulation­szentrum im Helios-klinikum Erfurt. In gut zwei Wochen wird der Cdu-politiker wieder in der Thüringer Landeshaup­tstadt sein: Ab . Mai findet hier der...
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