Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Zwischen Nazis und Friedensfest
Das sächsische Ostritz kämpft um seinen Ruf. Die NPD hat Rechtsextreme aus ganz Europa eingeladen
Ostritz. Es war ein bizarrer Moment in Ostritz, gleich neben der Neiße. Auf einer Wiese steht Axel Schlimper und singt mit seiner Gitarre ein Lied im Dreivierteltakt. „Wie lieblich sind hier Bach und Tal“, beginnt er und reimt, „wie lockend auch der Sonnenstrahl.“Neben ihm schunkelt seine Freundin Angela Schaller, sie trägt ein Kleid, das an ein Dirndl erinnert. Dann der Refrain: „Und fragt man mich nach meinem Land, so brennt mir mein Herze sogleich, und stolz dem Frager zugewandt, bekenne ich: das Deutsche Reich.“Rechts neben Axel Schlimper steht ein Mann mit Sonnenbrille und einem T-shirt, auf dem in weißer Frakturschrift steht: „Adolf war der Beste.“
Bewohner organisieren ein Friedensfest
Die beiden Musiker Schlimper und Schaller werden später sagen, dass sie weder rechtsextrem noch Reichsbürger sind, sondern sich einmal im Monat bei Vollmond zu Debattierabenden treffen. Aber es ist kein Vollmond an diesem Abend am Himmel, es ist der 20. April, der Geburtstag Adolf Hitlers, und deshalb hat der Npd-landesvorsitzende Thorsten Heise in diesem sächsischen Ort zum Festival „Schild und Schwert“geladen, in der Szene auch als „Ss-festival“abgekürzt. Das Motto lautet „Reconquista Europa“, die Rechtsextremen wollen Europa „zurückerobern“. Es sind auch Neonazis aus Tschechien und Polen eingeladen. Bis Samstagabend sind es laut Angaben der Polizei rund 750 Gäste, drei Viertel der angekündigten 1000 Besucher.
Es ist kein Zufall, dass das Hotel Neißeblick dafür sein Gelände zur Verfügung stellt. Der Inhaber, der hessische Unternehmer Hans-peter Fischer, hatte schon häufiger den Hof für Feste von Rechtsradikalen geöffnet, zuletzt im August 2017. Doch an diesem Wochenende soll das größte Treffen von Neonazis in diesem Jahr stattfinden. Das wollte Ostritz nicht auf sich sitzen lassen. Die Bürgermeisterin Marion Range fand schnell Unterstützer und organisierte ein „Friedensfest“auf dem Marktplatz, nur zwei Straßen vom Hotel entfernt. „Es brauchte nur ein paar E-mails“, sagt sie auf der Eröffnung, „und es war klar, dass wir außerhalb des Hotels den Nazis keinen einzigen Meter zur Verfügung stellen werden.“Schirmherr wurde der Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer (CDU).
Ostritz liegt Kretschmer am Herzen: „Es ist meine Heimat, und hier soll niemand Angst haben.“Es ist sein Wahlkreis, den er im Oktober 2017 an die AFD verloren hat. Unter anderem auch wegen Nicole Tzschoppe. Die 32-Jährige wohnt schräg gegenüber vom Hotel Neißeblick, hat zwei Kinder – und will auf keinen Fall auf das Friedensfest gehen. „Damit fing doch erst der Ärger an“, erzählt sie. Sie ärgert sich über die vielen Polizisten, die Absperrungen, die Kameras und Journalisten auf ihrer Straße. „Warum können die von der NPD nicht einfach in Ruhe ein Fest hier feiern?“Tzschoppe hat die AFD gewählt, weil ihr deren Kandidat glaubwürdig erschien.
Doch es gibt auch andere Meinungen in Ostritz. Rentner, die am Gartenzaun darüber schimpfen, dass überhaupt irgendjemand den Hitler-geburtstag feiern darf. „Der hat unserem Land so viel Schaden zugeführt“, sagt ein Mann. Seine Frau stimmt zu: „Die haben bei uns nichts zu suchen.“Das Dorf ist gespalten, ein Drittel hat die AFD gewählt, die einzige Partei, die sich nicht am Friedensfest beteiligt. Sie hat vorgeschlagen, das Fest an einem anderen Wochenende zu feiern. Doch das kam für Ostritzer Bürgermeisterin Range nicht infrage.
Der Veranstalter des „Ss-festivals“, Thorsten Heise, gibt sich am Samstag zufrieden. „Ich werde wiederkommen“, sagt er, „das kann ich Ihnen versprechen.“An einem Wochenende im April können also Neonazis an Ständen Poster mit zum Teil verbotenen Symbolen oder „Merkel muss weg“-aufdruck kaufen.
Den Hitler-gruß dürfen sie nicht zeigen. Zwei, die es trotzdem tun, werden sofort zur Seite genommen. „Sie bekommen eine Anzeige“, sagt ein Beamter trocken. Nicht weit davon entfernt werden auf dem Marktplatz Kinder als Katzen geschminkt, während die Eltern „original arabischen“Kaffee trinken, den mit Kardamom. Das ist der Ostritzer Protest. Und der hat funktioniert.