Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
„Manipulativ“: Zschäpe-verteidiger attackiert Bundesanwaltschaft
Nsu-prozess: Plädoyers der Verteidigung der Hauptangeklagten haben in München begonnen
München. Nach monatelangen Verzögerungen haben gestern im Münchner Nsu-prozess die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe mit ihren Plädoyers begonnen. Rechtsanwalt Hermann Borchert erklärte, dass die Mittäterschaft seiner Mandantin an den Verbrechen der Rechtsterrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“in der seit Mai 2013 dauernden Hauptverhandlung nicht bewiesen worden sei. Die Mittäterschaft Zschäpes lasse sich auch nicht mit deren Charakter oder deren früheren politisch geprägten Aktivitäten begründen.
Borchert sagte, seine Mandantin dementiere „vehement“, die Morde und Bombenanschläge „gewollt und unterstützt zu haben“. Hingegen bestreite sie nicht, „die Raubüberfälle akzeptiert und von der Beute gelebt zu haben“. Auch die Brandstiftung in Zwickau habe sie eingeräumt.
Scharf attackierte der Verteidiger die Vertreter der Anklage. Die Bundesanwaltschaft habe Indizien „manipulativ“, „bewusst fehlerhaft“und „einseitig“gewürdigt, sagte Borchert. Die gesamte Beweisführung sei dem Ziel untergeordnet worden, die Angeklagte zu überführen.
Die Anklage habe zudem die schriftliche Aussage von Zschäpe „selektiv und zielgerichtet“fehlinterpretiert, erklärte er. Einige Passagen darin seien „unterschlagen“, andere „falsch dargestellt“worden.
Vor dem Beginn der Plädoyers war es erneut zu juristischen Manövern gekommen. So kündigte der neue Wahlverteidiger von André E. zusätzliche Beweisanträge an, nachdem die Aussage eines von ihm bestellten Zeugen keine Erkenntnisse gebracht hatte.
Daraufhin beantragten wiederum die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben die Abtrennung des Verfahrens von André E. Alle Prozessbeteiligten hätten Anspruch auf ein „zeitlich nahes Urteil“, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Eine Verzögerung bis zum „Sanktnimmerleinstag“sei auch für die Opfer „unerträglich“. Diese Aussage wiederum bezeichnete Zschäpes Altverteidigerin Anja Sturm als „unmöglich“: Diemer schüre damit „Empörung in der Öffentlichkeit“, dabei laufe das Verfahren ordnungsgemäß.
Nachdem das Oberlandesgericht die Entscheidung über eine Abtrennung des Verfahrens von André E. vertagt hatte, konnten die Plädoyers der Verteidigung am Dienstagmittag beginnen.
Die Ankläger fordern für Zschäpe eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Einen eigenen Antrag für das Strafmaß stellte Borchert vorerst nicht. Damit ist erst am Ende seines Schlussvortrags zu rechnen, den er gemeinsam mit seinem Kollegen Mathias Grasel halten will. Der Prozess wurde am Nachmittag bisheute unterbrochen.
Nebenklagevertreter wiesen gestern die Vorwürfe von Borchert umgehend zurück. Die Angriffe seien scharf, aber „substanzlos“, teilte Rechtsanwalt Alexander Hofmann mit. Der Verteidiger habe einen „Großteil der seine Mandantin belastenden Beweismittel und Indizien schlicht ignoriert“, sagte er. Rechtsanwalt Sebastian Scharmer bezeichnete das gesamte Plädoyer als „luftleer“, weil es sich kaum an den Beweisen orientiere. ▶
Nebenkläger bezeichnet Plädoyer als „luftleer“