Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Eiskalte Wissenschaft
Konsistenz und Mundgefühl: Wie die Hersteller von Speiseeis ihre Produkte perfektionieren
Berlin. Es tropft und rinnt an Händen, Hörnchen oder Stiel herab. Doch ungeachtet der Kleckerei beginnt für viele der Sommer mit dem ersten Eis in praller Sonne. Rund 113 Kugeln schleckte der Durchschnittsdeutsche im vergangenen Jahr, berichtet der Eis-info-service der deutschen Markeneishersteller. Von Paprika-orange bis Waldmeister-chili gilt keine Sorte mehr als zu ausgefallen. Noch verrückter geht es allerdings hinter den Geschmackskulissen zu, wo die Hersteller an Feinheiten wie Konsistenz und Mundgefühl arbeiten, mit teils ausgefallenen Mitteln. Methylcellulose ist eine menschengemachte Abwandlung von Cellulose, dem Stoff, der pflanzlichen Zellwänden Stabilität verleiht. Die chemische Verbindung ist Hauptbestandteil vieler Tapetenkleister, steckt aber auch in Kosmetik. Für einige Nahrungsmittel wie etwa Eis ist auch sie in der EU als Novel Food zugelassen – als Verdicker oder Bindeglied zwischen anderen Stoffen. „Methylcellulose
wirkt wie ein Stärkegel. Es entfaltet sich wie ein dreidimensionales Netzwerk und lagert das Wasser ein wie ein Schwamm. So verlangsamt sich das Schmelzen, und das Eis tropft weniger“, sagt Flöter. In wärmeren Regionen wie der Türkei machten sich Straßenhändler den Effekt der pflanzlichen Strukturgeber schon lange zunutze. „Das dort häufig verkaufte Eis Dondurma enthält Extrakt aus bestimmten Orchideenarten, so wird es zu einer elastischen Masse“, erklärt Flöter. Argentinische Wissenschaftler der Universität San Martín schufen im Jahr 2010 in ihrem Labor eine Kuh namens Rosita Isa. Dank zweier Menschen-gene, die die Forscher in ihre DNA integrierten, gab sie fortan Milch, die zwei Proteine enthielt, welche sonst nur Menschenmütter ihren Kindern weitergeben: Lactoferrin und Lysozym. Kühe produzieren auch selbst Lactoferrin, doch nur das menschliche soll für den Menschen besonders bekömmlich sein und den Körper unter anderem Eisen besser aufnehmen lassen.
2012 genehmigte die EU das von Rindern hergestellte menschliche Lactoferrin als neuartiges Lebensmittel. Seither darf es neben Joghurt, Käse, Kuchen, Bonbons oder Kaugummi auch in Speiseeis stecken. Als Trendzutat durchgesetzt hat es sich bislang nicht.
Anders eine Eis-variante mit echter Menschen-muttermilch, die der Londoner Café-betreiber Matt O’connor im Jahr 2011 im hippen Stadtteil Covent Garden verkaufte. Seine mit Zitrone und Vanille verfeinerte Kreation enthielt nach eigenen Angaben 20 Prozent Muttermilch und fand reißenden Absatz.
Die 15 Milchgeberinnen seien ähnlich streng wie bei einer Blutspende untersucht worden, hatte O’connor der BBC berichtet. Was für Kinder gesund sei, könne auch Erwachsenen nicht schaden.
Die örtliche Lebensmittelbehörde sah den Fall anders: Es zog das Muttermilch-eis nach einer Woche aus dem Verkehr. bis - - - - -
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