Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Gefängnissen droht der Kollaps
Überfüllte Haftanstalten, Parallelgesellschaften, organisierte Kriminalität – Zahlen und Fakten zu einem verdrängten Missstand
Berlin. René Müller hat einen sonderbaren Job. „Wir arbeiten im Verborgenen“, sagt er. Er redet vom Strafvollzug. Es ist eine eigene Welt. Es fehlt an Personal und an Haftplätzen. Viele Anstalten sind baufällig. Drogenkonsum und illegaler Handel florieren. Gefangene greifen Beamte an – und werden umgekehrt von Stationsleitern gemobbt. Es wird die Gefängnisse womöglich unvorbereitet treffen, wenn Bund und Länder ihr Versprechen einhalten sollten, 15 000 Stellen bei den Sicherheitsbehörden und 2000 bei der Justiz zu schaffen; in der Folge würden mehr Verbrechen aufgedeckt und verhandelt, mehr Strafen verhängt und vollstreckt. „Der Justizvollzug“, warnt Müller, der dem Bund der Strafvollzugsbediensteten vorsteht, „ist zurzeit komplett überlastet.“Diese Redaktion hat mit Politikern, mit Funktionären wie René Müller, aber auch mit Gefangenen gesprochen und die Justizministerien aller 16 Bundesländer befragt. Das Ergebnis ist beunruhigend: Union und SPD haben vereinbart, Gerichte und Staatsanwaltschaften personell zu verstärken. „Die Gefängnisse müssen aber ebenso über genügend Personal verfügen, damit die Anstalten einerseits gut gesichert werden können, andererseits die Gefangenen vernünftig auf ein straffreies Leben vorbereitet werden können“, mahnt Fraktionschef der Union, Volker Kauder.
Auch der Vorsitzende der Justizministerkonferenz, der Thüringer Dieter Lauinger (Grüne), fordert, den Justizvollzug einzubeziehen, wenn es um Verbesserungen gehe. Er ruft dazu auf, „sich die Straftatbestände kritisch anzuschauen“.
Der neue Koalitionsvertrag sieht 2000 Stellen für Richter und das „Folgepersonal“vor. Der Justizvollzug wird aber nicht einmal erwähnt, „eine Frechheit“, schimpft Rene Müller, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands. Es fehle die Anerkennung durch die Politik. (bra/san/cu) Anfang 2018 saßen in Nrw-gefängnissen 34 Islamisten – gegenüber sechs im Jahr 2012. Anwerbeversuche sind in bayerischen JVA „schon länger bekannt“. 2017 saßen im Freistaat 99 Islamisten hinter Gittern. Eine Arbeitsgruppe der Länder empfiehlt, Islamisten und Terroristen in ausgesuchte Anstalten zu bringen – dezentral, um geschlossene „Hochschulen der Dschihadisten“zu verhindern.