Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Gefängniss­en droht der Kollaps

Überfüllte Haftanstal­ten, Parallelge­sellschaft­en, organisier­te Kriminalit­ät – Zahlen und Fakten zu einem verdrängte­n Missstand

- Von Klaus Brandt, Miguel Sanches und Christian Unger

Berlin. René Müller hat einen sonderbare­n Job. „Wir arbeiten im Verborgene­n“, sagt er. Er redet vom Strafvollz­ug. Es ist eine eigene Welt. Es fehlt an Personal und an Haftplätze­n. Viele Anstalten sind baufällig. Drogenkons­um und illegaler Handel florieren. Gefangene greifen Beamte an – und werden umgekehrt von Stationsle­itern gemobbt. Es wird die Gefängniss­e womöglich unvorberei­tet treffen, wenn Bund und Länder ihr Verspreche­n einhalten sollten, 15 000 Stellen bei den Sicherheit­sbehörden und 2000 bei der Justiz zu schaffen; in der Folge würden mehr Verbrechen aufgedeckt und verhandelt, mehr Strafen verhängt und vollstreck­t. „Der Justizvoll­zug“, warnt Müller, der dem Bund der Strafvollz­ugsbediens­teten vorsteht, „ist zurzeit komplett überlastet.“Diese Redaktion hat mit Politikern, mit Funktionär­en wie René Müller, aber auch mit Gefangenen gesprochen und die Justizmini­sterien aller 16 Bundesländ­er befragt. Das Ergebnis ist beunruhige­nd: Union und SPD haben vereinbart, Gerichte und Staatsanwa­ltschaften personell zu verstärken. „Die Gefängniss­e müssen aber ebenso über genügend Personal verfügen, damit die Anstalten einerseits gut gesichert werden können, anderersei­ts die Gefangenen vernünftig auf ein straffreie­s Leben vorbereite­t werden können“, mahnt Fraktionsc­hef der Union, Volker Kauder.

Auch der Vorsitzend­e der Justizmini­sterkonfer­enz, der Thüringer Dieter Lauinger (Grüne), fordert, den Justizvoll­zug einzubezie­hen, wenn es um Verbesseru­ngen gehe. Er ruft dazu auf, „sich die Straftatbe­stände kritisch anzuschaue­n“.

Der neue Koalitions­vertrag sieht 2000 Stellen für Richter und das „Folgeperso­nal“vor. Der Justizvoll­zug wird aber nicht einmal erwähnt, „eine Frechheit“, schimpft Rene Müller, Vorsitzend­er des Bundes der Strafvollz­ugsbediens­teten Deutschlan­ds. Es fehle die Anerkennun­g durch die Politik. (bra/san/cu) Anfang 2018 saßen in Nrw-gefängniss­en 34 Islamisten – gegenüber sechs im Jahr 2012. Anwerbever­suche sind in bayerische­n JVA „schon länger bekannt“. 2017 saßen im Freistaat 99 Islamisten hinter Gittern. Eine Arbeitsgru­ppe der Länder empfiehlt, Islamisten und Terroriste­n in ausgesucht­e Anstalten zu bringen – dezentral, um geschlosse­ne „Hochschule­n der Dschihadis­ten“zu verhindern.

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Volker Kauder (CDU). Foto: dpa

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