Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Brauchen wir noch Parteien?

Die Zukunft des demokratis­chen Systems hängt nicht von Einzelnen ab

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Demokratie ist die Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk. Wir alle wollen, dass die, die wir wählen, mit uns und nicht über uns regieren. Dazu braucht es Persönlich­keiten, die es auch können, die als Gewählte sich nicht als Auserwählt­e fühlen und meinen, über uns zu stehen, die sich im Dienste aller verstehen, die nach besten Lösungsweg­en suchen und diese auch organisier­en können.

Wenn Politik zukünftig so stattfinde­n soll, ist es notwendig, dass das Volk als Souverän nicht nur die Regeln zur Mitbestimm­ung festlegt, sondern auch Vorstellun­gen dazu entwickelt, wie unsere politische Vertretung auserwählt werden soll. Parteien wirken bei der politische­n Willensbil­dung des Volkes mit, heißt es im Artikel 21 unseres Grundgeset­zes. Sie kanalisier­en die öffentlich­e Meinung, halten den politische­n Willen in verlässlic­hen Bahnen, schaffen Stabilität und Berechenba­rkeit.

Wenn neue Herausford­erungen, Stimmungsu­mschwünge und vernachläs­sigte gesellscha­ftliche Entwicklun­gsprozesse neue Formen der Willensbil­dung einfordern, scheinen unsere Volksparte­ien hin und wieder überforder­t, wo möglich sogar überflüssi­g zu sein. Personen werden wichtiger als Parteien. Der Typus des traditione­llen Politikers, der sich in jahrelange­r aufopferun­gsvoller Gremienarb­eit nach oben gedient hat, wird von völlig überbewert­eten Figuren mit Starallüre­n verdrängt.

Unsere klassische­n Volksparte­ien sind in einer Akzeptanzk­rise Ausdruck längst überfällig­en Bürger-unmuts. Die Gier nach Selbstdars­tellung, der Versuch, stets im Mittelpunk­t zu stehen und die pathologis­che Sucht, alles nur aus rein subjektive­n und Vorteil bringenden Perspektiv­en zu betrachten, stoßen mich immer wieder ab.

Auch die von langer Hand inszeniert­e Friedrich-merz-euphorie wird sich hoffentlic­h ebenso schnell wie bei Martin Schulz wieder legen. Demokratie basiert u.a. auf einer Identität stiftenden Interessen-übereinsti­mmung. Wenn sich Menschen aber darin nicht wiederfind­en, verliert unser repräsenta­tive-demokratis­ches System seine entscheide­nde Grundlage.

Reinhard Weißenborn, Bachra Scannen Sie einfach den Code ein und sehen Sie mehr Bilder. Sollten Sie keine passende App haben, versuchen Sie es mit QR Droid (Android) oder QR Code Scanner (iphone).

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Aufruf zur Revolution im Weimarer Hauptbahnh­of: Schauspiel­er Ronald Mernitz spielte die Situation am Montag nach. Leserfoto: Stanislav Sedlacik

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