Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Jüdischer Friedhof vor Pogrom-gedenken geschändet

Hakenkreuz auf Grabstein: Sondershäu­ser Bürger zeigen sich von der Tat entsetzt. Staatsschu­tz der Kripo ermittelt

- Von Dirk Bernkopf Stich-wort

Sondershau­sen. Deutschlan­dweit gedachten gestern Menschen den Opfern der Reichspogr­omnacht vor 80 Jahren. In der Gedenkstun­de des Thüringer Landtags anlässlich des 80. Jahrestags des Novemberpo­groms am Donnerstag sprach Reinhard Schramm, der Vorsitzend­e der jüdischen Landesgeme­inde, von einem neuen Antisemiti­smus, der von Beleidigun­g bis zur Schändung gehe, und führte Sondershau­sen als jüngstes Beispiel an. Am Mittwoch entdeckten Polizisten auf dem jüdischen Friedhof am Spatenberg ein eingeritzt­es Hakenkreuz an einem Grabstein. Außerdem wurde die Gedenktafe­l am Eingang zur Mikwe, den Überbleibs­eln eines jüdischen Ritualbade­s im Stadtzentr­um, zwischen Dienstagna­cht und Mittwochna­chmittag mit Fäkalien beschmiert.

Als sich am gestrigen Freitagvor­mittag zahlreiche Bürger auf dem jüdischen Friedhof zum Gedenken versammelt­en, war nichts mehr von der Schändung zu sehen. Die Stadtverwa­ltung hatte umgehend den Stein von einem Steinmetz zur Ausbesseru­ng des Schadens abholen lassen. Nach der Reparatur soll er an alter Stelle wieder aufgestell­t werden. Bürgermeis­ter Steffen Grimm (pl) verurteilt­e die Tat scharf, nahm in seiner Rede jedoch keinen Bezug darauf. „Sechs Millionen Opfer – diese Zahl steht vor uns, so empfinde ich es, wie eine Wand: kompakt, erdrückend – und vor allem anonym“, sagte Grimm. Er sprach über einzelne Schicksale Sondershäu­ser Juden vor 80 Jahren und versprach, dass die Stadt weiterhin alles für den Erhalt der letzten jüdischen Zeugnisse tun werde. Neben den zwei Friedhöfen in Sondershau­sen und Immenrode erinnern heute noch Gedenktafe­ln an der Mikwe und am ehemaligen Standort der Synagoge sowie verschiede­ne Stolperste­ine an das jüdische Leben in der Stadt.

Am 9. November 1938 wurde laut Grimm auch in Sondershau­sen die Synagoge geschändet, Thora-rollen mit Stiefeln zertreten. Auf das Feuerlegen verzichtet­e man wohl nur aus Rücksicht auf die „arische“Nachbarsch­aft. Museumsmit­arbeiterin Bettina Bärnighaus­en sprach von einer „nahezu hundertpro­zentigen Trefferquo­te“. Etwa 12 bis 15 jüdische Familien lebten 1938 noch in der Stadt, und die Nazis verschlepp­ten aus fast jeder das männliche Familienob­erhaupt nach Buchenwald. Zehn Namen konnten bisher in den Archiven des Konzentrat­ionslagers den Opfern zugeordnet werden – Grimm verlas sie alle.

Seit der Wende kam es immer wieder zu Schändunge­n der jüdischen Friedhöfe in Immenrode und Sondershau­sen. Der größte Vorfall ereignete sich im Jahr 2003, als zwei Jugendlich­e 45 Grabsteine umstießen und mit Farbe beschmiert­en. Als Begründung gaben sie ihre rechte Gesinnung und Langeweile an. Die Spuren dieser Tat sind noch heute an den Grabsteine­n des Friedhofs zu sehen.

„Solche Vorfälle gab es auch schon zu Ddr-zeiten, sie wurden aber nicht thematisie­rt“, sagte Bärnighaus­en. „Die Volkspoliz­ei sprach oft nur von spielenden Kindern.“Bärnighaus­en erklärte, dass man im Museum seit 1994 den Friedhof dokumentie­rt und jedes Grab fotografie­rt habe. Das soll demnächst wiederholt werden. „Sogar sämtliche hebräische Inschrifte­n auf den Steinen haben wir übersetzt“, sagte die stellvertr­etende Museumslei­terin.

Auch Bärnighaus­en zeigte sich entsetzt über die jüngste Schändung: „Dieser Geist ist da und er ist wieder im Vormarsch. Bei meinen Führungen spreche ich das Thema immer offen an.“Am morgigen Sonntag ab 14 Uhr führt sie interessie­rte Besucher wieder über den Friedhof. Treffpunkt ist vor dem Forstamt in der Possenalle­e.

Karl-heinz-schmid, der stellvertr­etende Leiter der Polizeiins­pektion in Sondershau­sen, berichtete, dass die Polizei im Vorfeld des Pogromgede­nkens für solche Vorfälle sensibilis­iert gewesen sei. „Wir sind verstärkt Streife gefahren, und die Schändung ist ja auch nur durch eine intensive Kontrolle des Friedhofes am Mittwochmi­ttag aufgefalle­n.“Die Ermittlung­en zu der Friedhofss­chändung hat der Staatsschu­tz der Kriminalpo­lizei übernommen.

 ??  ?? Zahlreiche Bürger, darunter auch Elftklässl­er des Geschwiste­r-scholl-gymnasiums, folgten gestern der Rede von Bürgermeis­ter Steffen Grimm und gedachten der Pogromopfe­r vor  Jahren in Sondershau­sen. Foto: Dirk Bernkopf
Zahlreiche Bürger, darunter auch Elftklässl­er des Geschwiste­r-scholl-gymnasiums, folgten gestern der Rede von Bürgermeis­ter Steffen Grimm und gedachten der Pogromopfe­r vor  Jahren in Sondershau­sen. Foto: Dirk Bernkopf
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