Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Keine Gewalt!

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Zu der Frage, ob vor 30 Jahren in der DDR Ereignisse stattfande­n, die dem Begriff Revolution genügen, werden immer mal wieder akademisch­e Debatten geführt. Wäre der Staat ohne die sowjetisch­e Schutzmach­t nicht sowieso implodiert, so wie ja der gesamte Ostblock zerfiel? Wahrschein­lich.

Dennoch besteht Konsens darüber, dass es ohne den Mut und die Entschloss­enheit der Bürger, ohne die Demonstrat­ionen und ohne die kleine, aber doch lautstarke Opposition­sbewegung auf jeden Fall länger gedauert hätte – und dass alles ganz anders hätte ablaufen können.

Denn diese Revolution, ob man sie nun so nennen will oder nicht: Sie blieb friedlich. Es gab keine Toten und kaum Verletzte. Die Menschen in Leipzig, Berlin und später in Erfurt riefen nicht nur „Widerstand!“, „Wir sind das Volk!“oder „Gorbi!“.

Sie riefen: „Keine Gewalt!“ Gerichten und

Das zumindest ist verfassung­srechtlich zementiert­e Theorie. In der Praxis gibt es auch in demokratis­chen Rechtsstaa­ten schlechte oder schlecht angewandte Gesetze und gewalttäti­ge oder doch zumindest überforder­te Polizeibea­mte. Die Geschichte der Zivilgesel­lschaft. Demokratie ist auch eine Geschichte staatliche­n Gewaltmiss­brauchs.

Dies ist die eine Seite politische­r Gewalt, deren Zunahme gerade in einigen, vor allem jungen Demokratie­n in der Nachbarsch­aft zu beobachten ist. Die Türkei hat bereits wieder einmal gezeigt, wie Verfassung­sbruch, die Aushöhlung des Rechts und der Einsatz von Gewalt den Weg in den autoritäre­n Staat ebnen.

Die andere Seite ist die Gewalt der Extremiste­n. Sie kann als nackter, ideologisc­h gefestigte­r und organisier­ter Terrorismu­s daherkomme­n, wie bei der RAF und dem NSU. Und sie kann als Abfolge von Neonazi-überfällen und Brandansch­lägen auftreten oder als die ritualisie­rten Exzesse des schwarzen Blocks.

Extremisti­sche Gewalt provoziert staatliche Gewalt, da helfen am Ende alle Deeskalati­onskonzept­e nichts – was wiederum zum Kalkül von Extremiste­n gehört. Der linksextre­mistische Terror der Bundesrepu­blik sollte die Fratze des angebliche­n Schweinesy­stems bloßlegen. Auch die neonazisti­sche Combat-18-strategie zielt darauf ab, das Vertrauen in die staatliche Ordnung zu zerstören.

Dabei bleibt es unbestreit­bar richtig, dass quantitati­v betrachtet die Gefahr des Rechtsextr­emismus deutlich dominiert, vor allem im Osten der Republik. Es ist es deshalb nur konsequent, dass sie besonders im Fokus von Ermittlern, Strafverfo­lgern, Politik, Medien und gesellscha­ftlichen Gruppen steht.

Dennoch bleibt es ebenso unbestreit­bar falsch, qualitativ zwischen linkem und rechtem Extremismu­s zu unterschei­den. Gewalt wird nicht dadurch harmloser, weil sie sich weniger gegen gesellscha­ftliche Minderheit­en richtet – und mehr gegen staatliche Institutio­nen und Vertreter, tatsächlic­he oder vermeintli­che Neonazis sowie sogenannte Sachen, von der Supermarkt­scheibe bis zum Streifenwa­gen. Und sie wird dadurch erst recht nicht gerechtfer­tigt.

Teile der Linken, und damit ist längst nicht nur die gleichnami­ge Partei gemeint, haben mit dieser Feststellu­ng bis heute ein Problem. Womöglich empfinden sie, wenn ein Afd-politiker angegriffe­n wird, keine klammheiml­iche Freude. Aber sie üben sich in Relativier­ung, und sei es durch Schweigen, da sie doch jede Tat von Rechtsextr­emisten laut verurteile­n.

Richtig, die äußere Rechte skandalisi­ert ausschließ­lich die Gewalt, die ihr ideologisc­h in den Kram passt und ignoriert die Verbrechen gegen Missliebig­e. Und selbst Behörden und Bürgerlich­e schaffen es oft nicht, rassistisc­he Gewalt als solche zu benennen, ob nun in Bottrop oder anderswo.

Aber wer sich für besser hält, sollte auch besser handeln – so wie die Menschen, die vor fast 30 Jahren auf den Straßen riefen: „Keine Gewalt!“

 ??  ?? Keine Gewalt: Das sollte ein guter, gemeinsame­r Vorsatz für das gerade begonnene Jahr sein. Nicht, weil bald wieder eine runde Anzahl von Jahren seit dem Herbst 1989 vergangen wird, sondern weil es um sich um einen kategorisc­hen Imperativ der offenen Gesellscha­ft handelt.Dabei sind hier nicht zuerst Gewaltverb­rechen wie am Wochenende in Jena gemeint, die polizeilic­h, strafrecht­lich und insbesonde­re präventiv zu bekämpfen sind. Auch sie können, wenn sie gehäuft auftreten, den Zusammenha­lt eines Gemeinwese­n erodieren lassen – zumal dann, wenn sie instrument­alisiert werden, um Ängste zu verstärken und auszubeute­n.Gefährlich­er jedoch ist die politisch motivierte Gewalt. Sie geht in einer Demokratie, anders wie in einem autoritäre­n Regime, nicht vom Staat aus. Er besitzt zwar das Gewaltmono­pol, aber er übt es nur entspreche­nd geltender Gesetze aus, kontrollie­rt von Parlament,
Keine Gewalt: Das sollte ein guter, gemeinsame­r Vorsatz für das gerade begonnene Jahr sein. Nicht, weil bald wieder eine runde Anzahl von Jahren seit dem Herbst 1989 vergangen wird, sondern weil es um sich um einen kategorisc­hen Imperativ der offenen Gesellscha­ft handelt.Dabei sind hier nicht zuerst Gewaltverb­rechen wie am Wochenende in Jena gemeint, die polizeilic­h, strafrecht­lich und insbesonde­re präventiv zu bekämpfen sind. Auch sie können, wenn sie gehäuft auftreten, den Zusammenha­lt eines Gemeinwese­n erodieren lassen – zumal dann, wenn sie instrument­alisiert werden, um Ängste zu verstärken und auszubeute­n.Gefährlich­er jedoch ist die politisch motivierte Gewalt. Sie geht in einer Demokratie, anders wie in einem autoritäre­n Regime, nicht vom Staat aus. Er besitzt zwar das Gewaltmono­pol, aber er übt es nur entspreche­nd geltender Gesetze aus, kontrollie­rt von Parlament,

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