Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Der Rote und der Schwarze
Wie die Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und Thomas Kretschmer in Altenburg Einigkeit zelebrieren
Die Stimme des Ministerpräsidenten hallt durch den blattgoldenen Barock des Festsaales, hinauf zu der Galerie und den riesigen Lüstern, die schwer über den Tischen hängen. An diesem Ort, referiert Bodo Ramelow, habe Kaiser Friedrich Barbarossa den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach mit dem Herzogtum Bayern belehnt. Insofern liege hier, im Schloss zu Altenburg, eine der Wurzeln des großen Freistaats im Süden.
Aber jetzt treffen sich erst einmal nur die Vertreter der anderen beiden deutschen Freistaaten, deren Vorgänger einst beide, auch dieser historische Bezug wird erwähnt, diese schöne Stadt beherrschten. Links, vom Eingang aus gesehen, ist die gastgebende thüringische Landesregierung platziert, rechts die sächsische Staatsregierung.
Es handelt sich um die erste gemeinsame Sitzung des rot-rotgrünen Kabinetts mit einem Kabinett aus der Nachbarschaft, und dies, obwohl die Wahlperiode fast vorbei ist. Der Drang der unionsgeführten Regierungen in Hessen, Bayern oder SachsenAnhalt, sich mit der einzigen linksgelenkten Koalition der Republik zu treffen, war bislang offenkundig eher gebremst.
Doch nun sitzt ja Michael Kretschmer, CDU, dem Linken Ramelow gegenüber. Parteipolitisch mögen die beiden „unüberwindbare Unterschiede“trennen, wie es der sächsische Ministerpräsident vor dem Treffen gegenüber dieser Zeitung formulierte. Aber auf Regierungsebene arbeitet man dann doch ziemlich pragmatisch miteinander, da mag der Landtagswahlkampf beginnen, wie er will.
Die Tagesordnung spiegelt die gemeinsame Interessenlage wider: mehr Rechte für DDRHeimkinder, Kampf gegen Neonazikonzerte und Reichsbürger, Kooperation beim Tourismus im Vogtland. Vor allem aber geht es natürlich um die Gelder aus Berlin und Brüssel.
Die zugehörigen Beschlussvorlagen dazu sind längst zwischen den Staatskanzleien abgestimmt, sie müssen im Schloss nur noch abgenickt werden. In einer steht: Hasspostings im Internet könnten „zu Radikalisierungen von Einzelnen und Gruppen führen“. Die Verhinderung dieser Postings „und deren konsequente Verfolgung“hätten deshalb „hohe Priorität“.
Kretschmer ist der erste, der in der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten (und Parteifreund) Walter Lübcke durch einen mutmaßlichen Neonazi anspricht – und das Attentat mit dem Drohungen im Netz in einen Zusammenhang bringt.
Ob der Rechtsextremismus, im Vergleich zum Linksradikalismus, nicht die größere Bedrohung sei, wird er daraufhin von dieser Zeitung gefragt. Kretschmer überlegt nicht eine Sekunde. „Das ist mit Sicherheit so!“, antwortet er. Auch wenn man bisher noch nicht alles wisse, so könne es sich doch, bei aller Vorsicht, wieder um „so etwas wie den NSU“handeln.
Auch an dieser Stelle ist Kretschmer ganz nah bei Ramelow. Die neonazistische Terrorzelle aus Thüringen, die von Sachsen aus ihre rassistischen Morde beging, ist schließlich auch so ein Thema, das beide Länder unfreiwillig verbindet.
Dabei wirken die Sachsen und die Thüringer sonst oft genug wie zwei eng miteinander verwandte Familien, die sich zwar mögen, aber sich zuweilen nicht leiden können. Das Gefühl von Konkurrenz war immer da zwischen dem vormaligen Königreich mit der Pompstadt Dresden und der Messemetropole Leipzig und dem kleinen, aber kulturvollen Land aus zusammengepuzzelten Minifürstentümern. Seit 1990 läuft ein unerklärter Wettstreit um den Platz 1 im Osten. Beim Wirtschaftswachstum, bei der Arbeitslosigkeit oder bei den Bildungstests lag mal das eine, mal das andere Land vorn.
Aber von alldem wird in Altenburg nicht geredet. So wie in der Stadt die sächsisch-thüringischen Grenze verschwimmt, so verschwimmen auch die Farben Rot und Schwarz – zumal es jetzt das Blau der AfD gibt, das nach den Europawahlen die Ergebniskarte in Sachsen und in Teilen Thüringen dominierte.
Ramelow erinnert fein daran, dass es auch seine Linke war, die dem CDU-Oberbürgermeisterkandidaten in Kretschmers Heimatstadt Görlitz zum knappen Sieg über die AfD verhalf. Dass seine „Genossin“ihre Kandidatur zurückgezogen habe – das, sagt er, nötige doch Respekt ab.
Dem sächsischen Ministerpräsidenten bleibt da nur noch übrig, dankbar zu lächeln.