Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Wenn Gaukler von der Leine sind
In Erfurt erheben die „Nibelungen“den Dilettantismus zur Kunstform
Erfurt. „Du hast Baldung“sagt Mime der Schmied. Da überlegt Siegfried der Held, schließlich er hat gerade erlebt, wie zwei ritterliche Mitarbeiter vom Gesundheitsamt desinfizierenden Dampf verteilten. So teilt er seine Sorge mit: „Ist das schlimm?“Das muss man sich erst mal trauen. So wie man sich trauen muss, wenn man zu zweien ist, die „Nibelungen“zu sein.
Und deshalb fragte sich auch der Berichterstatter nach der Lektüre des Textes, nicht minder besorgt, ob das denn schlimm sei. Es ist nicht schlimm: Es ist so prall bescheuert, so bezwingend blöde, dass es eine Lust ist. Es ist, als wären Stefan Wey und Klaus Tkacz bei den Handwerkern des „Sommernachtstraums“in die Lehre gegangen, einer spielt die Wand und einer den Mond, den Löwen ohnehin, was aber im Prinzip egal ist. Denn es sind die Helden der Nibelungen, es könnten aber auch die Jungs aus Heldrungen sein oder die Kartoffeln aus Heichelheim. Denn sie erzählen hier keine Geschichte, sie erzählen nur, was passiert, wenn Gaukler von der Leine sind. Und das macht ziemlich viel Laune.
Das Ganze geht so, dass Friedhelm, den wir hier Stefan nennen wollen und Hans-Peter, den wir hier Klaus nennen wollen, Ranjib und Tanjib, zwei indische Computerspezialisten, die wir auch Lolek und Bolek nennen könnten, engagiert haben, die bauen ihnen so ein Ding, „Augemented reality on stage“und so, damit können sie die ganzen Nibelungen virtuell zeigen, die Burg zu Worms, 500 Ritter werden da einmarschieren, alles lebensecht. Aber dann, wie im echten Leben, funktioniert der Mist nicht. Also schicken Stefan und Klaus uns nach Haus – oder sie machen es selbst. Und das ist, im Ernst, der Trick.
Die beiden Herren beweisen körperliche Fitness
Mit dieser Begründung können Stefan Wey und Klaus Tkacz fröhlich dilettieren auf Teufel komm raus, können schamlos schmieren wie auf Schichtls Geisterbühne. Und der Berichterstatter, wie das Premierenpublikum, bekennt seine Gaudi an der schönen Gaukelei.
Harald Richter hat das inszeniert und dem infernalischen Duo, das den, sozusagen, konstruktiven Dilettantismus zur Kunstform erhebt, die ganz, ganz lange Leine gelassen, die könnte wohl hier & da etwas gestrafft werden, aber das spielt sich ein. Und Ulrike Mitschke hat ihnen in den Hof des Erfurter Angermuseums ein Ding, eine Burg, eine bespielbare und mitspielende Mitte gebaut, die in ihrer wandelbaren Naivität zum dritten Darsteller wird.
Kann sein, Friedhelm, den wir lieber Stefan nennen, hat gejammert, lasst mich den Drachen auch spielen, er steht hoch oben und macht aus Leibeskräften dem Fafnir die Flügel schlagen, die bilden bei anderer Gelegenheit die Segel für die isländischen Winde, derweil HansPeter, den wir lieber Klaus nennen, unten einen großen Kampf kämpft. So wie gegen die Sachsen, da wird er zum King Kong, der King HansPeter.
Überhaupt, die beiden Herren beweisen hier körperliche Fitness und Wendigkeit, schwingen sich hinauf und hinab, dass es ein Staunen hat. Und zelebrieren eine glückliche Hochzeitsnacht mit romantischer Schaukelei als Sommernachtstraum, bis die eigentliche Nummer dieser Nacht eine zirzensische Vertikalakrobatik wird.
Hans-Peter, den wir lieber Klaus nennen, erklimmt die Höhen zu Rapunzel, die wir lieber Brünhild nennen sollten, Friedhelm, den wir lieber Stefan nennen, wird später mit Wormser Speckkuchen verführt, Weiber. Und beide Weiber auf dem Catwalk, geb’s der Gender-Gott, das möge keine kulturelle Aneignung sein. Siegfried haut Brünhild im solistischen Boxkampf aufs Maul, durch das „umgekehrte Tarnkappenverfahren“sehen wir den unsichtbaren Klaus und Stefan wird frei für Michael Buffer.
Am Ende trifft natürlich Hagen das Schwein die Stelle, die Krimhild, die Nuss markiert hat und uns trifft das tief ins Herz. Die Stromanlage auch, so legte sie den Schleier der Dunkelheit über das dramatische Geschehen.
Am Anfang kamen sie uns mit der“Aventüre 18, Vers 14 in der Fassung von Karl Simrock von 1897“(„Noch mehr des roten Goldes aus Nibelungenland…), wir kommen ihnen zum Ende mit „Hamlet“, 2. Aufzug, 2. Szene in der Fassung von August Wilhelm Schlegel von 1841 („Und ist’s auch Tollheit, so hat es doch Methode“). Sehr fröhlich nach Hause.