Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

„Rassismus wird nicht von allein verschwind­en“

Migranten-Organisati­onen fordern Strategien gegen Diskrimini­erung und Aufarbeitu­ng des kolonialen Erbes

- Von Elena Rauch

Weimar. „Nimm den Lappen vom Kopf!“Sätze wie diesen bekommt die Muslima Mirjam Tabja oft zu hören. In der Bahn oder auf den Straßen von Erfurt, der Stadt in der sie geboren wurde. Warum er sich die Mühe mache, er werde ohnehin keine Professur bekommen, wurde Daniel Egbe gefragt, als er seine Habilitati­onsschrift in Organische­r Chemie begann. Der Wissenscha­ftler stammt aus Kamerun, hat an der Universitä­t in Jena studiert und lebt dort mit seiner Familie. Es gibt, sagt er, in der deutschen Hochschull­andschaft so gut wie keine Lehrstühle, die von Schwarzen Menschen besetzt sind. „Du musst immer ein Stück besser sein, um auf Augenhöhe anerkannt zu werden.“

Der Bauingenie­ur Yasser Muhammad lebt in Weimar, er ist viel auf Baustellen unterwegs. Immer wieder erlebt er, wie man im Gespräch mit ihm unaufgefor­dert zum „Du“übergeht, während die Deutschen untereinan­der beim höflichen „Sie“bleiben. Ausgrenzun­g, Rassismus, Diskrimini­erung: Die alltäglich­en Erfahrunge­n und die Frage nach Strategien dagegen standen im Fokus der Jahrestagu­ng von „MigraNetz“am Wochenende in Weimar. Das Netzwerk vereinigt 30 Organisati­onen, die in Thüringen die Interessen von Migranten vertreten. Wie tief rassistisc­hes Denken und Vorbehalte wurzeln, machen die Ergebnisse des jüngsten Thüringen-Monitors deutlich, erinnerte Andreas Beelmann, der an der Jenaer Universitä­t das Zentrum für Rechtsextr­emismusfor­schung, Demokratie­bildung und gesellscha­ftliche Integratio­n leitet. Fast jeder Fünfte beantworte die Frage, ob die Weißen zu Recht führend in der Welt sind, mit „ja“. Mehr als jeder Zweite ist der Meinung, dass die Bundesrepu­blik „überfremde­t“sei.

Die Vorurteile treffen nicht nur Migranten und Flüchtling­e. Vertreter des Netzwerkes verweisen auf Anfeindung­en, mit denen Ehrenamtli­che der Flüchtling­shilfe immer wieder konfrontie­rt werden.

Was also tun, mit dieser Bestandsau­fnahme? Von der Politik fordert „MigraNetz“konkrete Schritte wie eine unabhängig­e Thüringer Antinen, diskrimini­erungsstel­le, eine unabhängig­e Polizeibes­chwerdeste­lle, ein Landesanti­diskrimini­erungsgese­tz. Aber das wird nicht reichen, Rassismus verschwind­e nicht von allein. Man müsse viel mehr Kontakte schaffen, und zwar solche, bei denen sich zum Beispiel Einheimisc­he und Geflüchtet­e nicht als Helfende und Hilfsempfä­nger begeg

sondern auf Augenhöhe. Die Schulen brauchen wirkungsvo­llere pädagogisc­he Konzepte für das Thema Rassismus, so Netzwerksp­recherin Rea Mauersberg­er. Dazu gehöre auch die umfassende­re Vermittlun­g eines Afrika-Bildes, fügt Daniel Egbe hinzu. Das sei dominiert von Negativbil­dern wie Hungersnöt­en und Bürgerkrie­gen.

Wie tief rassistisc­he Stereotype nicht zuletzt infolge der nicht aufgearbei­teten Kolonialge­schichte sitzen und zum Teil auch unbewusst nachwirken, zeige das Beispiel Eisenberg. Die Stadt hatte 2019 ihr Stadtfest erstmals unter dem Namen „Eisenberge­r Mohrenfest“veranstalt­et, im Rückgriff auf eine historisch­e Überliefer­ung. Die Bezeichnun­g sei untrennbar mit dem europäisch­en Kolonialis­mus und Rassismus verknüpft, das verletze und diskrimini­ere Schwarze Menschen, stellen die Netzwerk-Vertreter klar. Wegen Corona fiel das Stadtfest in diesem Jahr aus. Für „MigraNetz“die Chance eines Überdenken­s, damit sich der Name nicht verfestige. Sie laden die Vertreter der Stadt zum Gespräch ein.

 ?? FOTO: ELENA RAUCH ?? Wissenscha­ftler Daniel Egbe gehört zu den Akteuren des Netzwerks „MigraNetz“, die in Weimar das Thema Rassismus diskutiert­en.
FOTO: ELENA RAUCH Wissenscha­ftler Daniel Egbe gehört zu den Akteuren des Netzwerks „MigraNetz“, die in Weimar das Thema Rassismus diskutiert­en.

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