Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger
Was ist passiert?“Stadler hatte sich auf das Bett gesetzt, ein Kissen ins Kreuz geschoben und die Beine hochgelegt, eine Unart, die er sich mangels anderer bequemer Sitzgelegenheiten in seinem Hotelzimmer in den letzten Wochen angewöhnt hatte. Und nun erfuhr er, dass der Abbau der Korrespondentenstellen und die Einrichtung des sogenannten Newsdesk nur der Auftakt eines größeren Zeitungsumbaus waren.
Die die kurz vor Stadlers Berufung zum Italienkorrespondenten die Zeitung von Altverleger Graf kaufte, hatte schon im Vorjahr die Unternehmensberatung Horth damit beauftragt, den gründlich zu durchleuchten. So weit war Stadler die Geschichte auch bereits bekannt.
Schon damals hatte es Ärger gegeben, auch zaghafte Proteste, weil Schimmelpfennig als moderner Investor galt, für den das Zeitungsgeschäft eines wie alle anderen war.
Eine gefährliche Einstellung, vor allem für die Zeitungen selbst. Denn wie in kaum einem anderen Geschäft bedarf es hier weitsichtiger Verleger, die mehr als nur das nächste Geschäftsergebnis nach Steuern im Blick haben müssen. Aber fähige Zeitungsverleger waren ja ohnehin eine in Deutschland vom Aussterben bedrohte Spezies. Schimmelpfennig jedenfalls, eine Unternehmensgruppe, die von zwei Familien gelenkt wurde, wollte mit dem
ihr Medien-Portfolio aufstocken, wie man Neudeutsch sagt. Ein halbes Dutzend Regionalzeitungen, mehrere Zeitschriften, drei Tageszeitungen in Polen, mehrere Lokalfernsehsender sowie Beteiligungen an großen Privatsendern gehörten bereits zur
Anfangs ließen die Eigentümerfamilien den Verlagsgeschäftsführungen auch freie Hand. 2010 jedenfalls wurde die ebenfalls umstrittene Unternehmensberatung Horth mit der Prüfung des beauftragt.
Und nun, das war für Stadler neu, gab es ein ganzes Maßnahmebündel, das die Verlagsgeschäftsführung ziemlich rücksichtslos durchsetzte – alles unter dem Deckmantel der „Stärkung“des Unternehmens. Ende Juli bereits gab es eine Gesamtredakteurskonferenz, bei der Chefredakteur Böhringer, assistiert vom Verlagsgeschäftsführer und einem Horth-Handlanger, das neue Zeitungskonzept vorstellte. Die Ressorts werden aufgelöst und ein Reporterpool gebildet. Das wusste Stadler schon von Böhringer selbst, er hatte es ihm anvertraut, als er ihm Details seiner neuen Aufgabe verraten hatte. Dass in diesem Zusammenhang zwanzig Redakteure gehen müssen, war neu für Stadler. „Zwanzig?“, fragte er ungläubig. „Zwanzig“, bestätigte Alexander Ringhofer. Und setzte dann leise hinzu: „Ich bin auch dabei.“
„Du?“Stadler richtete sich mit einem Ruck auf. „Die wollen dich entlassen?“
„Tja, wie man es nimmt. Zumindest werde ich im Feuilleton nicht mehr gebraucht. Der Personalchef hat mir einen Platz am Newsdesk angeboten. Blattmacher soll ich werden. Ich, stell dir das mal vor.“
Wäre die Lage nicht so ernst, hätte Stadler grinsen müssen. Ringhofer war nicht nur sanftmütig und intelligent, Ringhofer war auch ein wenig, nun ja, unbeholfen wäre vielleicht der richtige Ausdruck. Als der damalige Feuilleton-Chef den jungen Ringhofer ins Team holte, hatte dieser von Journalismus wenig Ahnung. Er war Kunsthistoriker und arbeitete als Einkäufer in einer Galerie. Ab und an machte er einen Beitrag fürs Radio, bei der einen oder anderen Zeitung platzierte er einen Text – meist Kunstrezensionen oder Künstlerporträts. Und die waren einfach exzellent. Doch er stand mit Computern auf Kriegsfuß, arbeitete schlecht unter Druck, konnte weder eine Kamera noch ein Auto bedienen. Kurz, keine idealen Voraussetzungen für eine Tageszeitung. Gut, auch Ringhofer hatte sich entwickelt. Aber als puren Blattmacher, als Layouter, als Redakteur, als einer, der mit Beiträgen und Zeilenlängen so jonglieren musste, dass einem schon vom Zusehen schwindlig wurde, das war nun wirklich nichts für den Feingeist.
„Aber das ist ja hanebüchen“, entfuhr es Stadler. „Nichts für ungut,
Alex, aber du bist ein brillanter Kulturjournalist und kein Blattmacher.“
„Deswegen habe ich auch Nein gesagt.“
„Und wer soll deinen Posten im Feuilleton bekommen?“
„Meinen Posten? Dir hat wirklich noch niemand was gesagt, stimmt’s?“
„Zugegeben.“
„Meinen Posten gibt es ab nächste Woche nicht mehr.“
„Aber: Wie ist das Feuilleton denn dann aufgestellt? Wer schreibt denn dann noch alles?“
„Es wird zwei Reporter für die Kultur geben“, fing Ringhofer an, und Stadler drehte sich beinahe der Magen um. Die Wörter Reporter und Kultur wollten ohnehin nicht zueinander passen, aber darüber hinaus passten sie auch nicht auf sein geliebtes Feuilleton. Und dann nur zwei?
„Und wenn einer in Urlaub ist?“„Dann ist der andere noch da.“