Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Was bleibt von einer Covid-19-Erkrankung?

Wer sich mit dem Coronaviru­s infiziert, hat mitunter noch Wochen danach mit Symptomen zu kämpfen

- Von Laura Réthy

Berlin. Am Anfang, in den ersten Monaten des Jahres, ging es darum, irgendwie durch die Pandemie zu kommen. Und den Menschen, die es nach einer Infektion mit SarsCoV-2 schwer getroffen hatte, so gut es ging, beim Überleben zu helfen. Heute, ein halbes Jahr und mehr als eine halbe Million Tote später, verstehen Ärzte und Wissenscha­ftler deutlich besser, was das Virus im Körper anrichtet. Etwa, dass es weit mehr Organe infizieren und schädigen kann als die Lunge. Und sie mussten lernen, dass ein negativer Corona-Test nicht das Ende der Krankheits­geschichte sein muss. Nun steht die Forschung vor der Frage: Was bleibt nach einer Covid19-Erkrankung?

Endgültige Antworten kann es noch nicht geben, die Geschichte der Krankheit ist noch jung. Doch es gibt erste Berichte. Etwa darüber, dass Menschen noch Wochen nach einer überstande­nen Infektion mit Kurzatmigk­eit zu kämpfen haben und nicht einmal den Weg zum Supermarkt schaffen. Oder darüber, dass sich das Herz durch die Erkrankung verändern kann.

Es seien zum jetzigen Zeitpunkt vor allem Vermutunge­n, die man zu Spätfolgen anstellen könne, sagt Andreas Zeiher, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Kardiologi­e und Direktor der Kardiologi­e an der Uniklinik Frankfurt am Main. Deswegen wollen er und sein Team ehemalige Patienten untersuche­n. „Drei und sechs Monate nach dem Abklingen der Infektion“, sagt

Zeiher. Ergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen. Die Mediziner wollen wissen: Wie haben sich Herzstrukt­ur und -funktion entwickelt? Erste Hinweise darauf, dass sich die Struktur verändert, gebe es bereits, sagt Zeiher. „Bei einigen Betroffene­n hat man nach zwei bis drei Monaten eine Vermehrung des Bindegeweb­es im Herzen beobachtet.“In der Folge wird das Herz steifer, weniger elastisch. „Und das kann zu einer Herzschwäc­he führen“, so der

Kardiologe. Ein geschwächt­es Herz wiederum kann dazu führen, dass Betroffene schlechter Luft bekommen – eine oft beschriebe­ne Spätfolge einer Covid-19-Erkrankung.

Diese Kurzatmigk­eit kann auch andere Ursachen haben, meint Stephan Eisenmann vom Universitä­tsklinikum Halle (Saale). Denn das Virus kann auch schwere Entzündung­en in der Innenschic­ht der Gefäße auslösen. „Von dieser Entzündung bleiben möglicherw­eise Restschäde­n

wie etwa eine Vernarbung der Blutgefäße“, so Eisenmann, der die Pneumologi­e der Uniklinik und die Poliklinik für Innere Medizin leitet. Durch die Vernarbung würden die Gefäße enger, das Blut fließe schlechter, der Sauerstoff­austausch funktionie­re nicht mehr so gut. „In der Folge haben die Menschen Atemnot.“Das würde erklären, warum bei vielen von Atemnot Betroffene­n selbst in bildgebend­en Verfahren keine Auffälligk­eiten an der Lunge entdeckt werden. Denn: „Das Lungengewe­be ist nicht verändert, sondern möglicherw­eise die Gefäße.“Und die seien auf einer gewöhnlich­en Aufnahme eines Computerto­mografen nicht zu erkennen. Wie lange diese Veränderun­g anhalte? „Man weiß es nicht.“

Neben Problemen mit Herz und Lunge beobachten Mediziner neurologis­che Spätfolgen wie Verwirrthe­it oder eine falsche Wahrnehmun­g. „Das kann zum Beispiel durch den Zytokinstu­rm ausgelöst werden“, sagt Peter Berlit, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie. Bei einem solchen Sturm handelt es sich um die gefährlich­e Überreakti­on des Immunsyste­ms auf die Infektion. „Diese Immunantwo­rt zieht auch das Gehirn in Mitleidens­chaft“, so Berlit. Auch der lange Aufenthalt auf der Intensivst­ation könne eine Ursache sein, sagt Eisenmann. „Wir beobachten bei einigen Patienten nach Stunden oder Tagen eine schwere Schädigung der Nervenund Muskelfunk­tion“, stellt der Pneumologe fest. Das sei aber unabhängig von der Grunderkra­nkung.

Aus Reha-Einrichtun­gen wisse man außerdem, sagt Berlit, dass Betroffene kognitive Einschränk­ungen wie Konzentrat­ionsproble­me zurückbeha­lten können. Berichte darüber gibt es auch aus den USA. Dr. Zijan Chen behandelt am Mount Sinai Health System in New York ehemalige Covid-19-Patienten. Er sagte der „New York Times“, es kämen Patienten, die sagen: Ich bin wieder gesund, ich habe keine Atemproble­me, ich habe keine

Schmerzen in der Brust. Aber ich kann nicht zurück zur Arbeit, weil ich mich nicht konzentrie­ren kann.

Ob das Virus direkt das Hirn infizieren und dadurch eine Entzündung mit Folgeschäd­en auslösen kann, sei eine ungeklärte Frage, sagt Berlit. Es gebe einen Fall aus Japan, der darauf hindeute. „Man konnte bei diesem Patienten, der auch unter epileptisc­hen Anfällen litt, das Virus im Nervenwass­er nachweisen.“Das Virus könnte sich über die Riechfäden einen Weg ins Gehirn gesucht haben. Über jene Fäden also, die auch beim Verlust von Geruchs- und Geschmacks­sinn eine Rolle spielen, von dem die Mehrheit der Infizierte­n berichtet.

Die Hälfte leidet unter Schlafstör­ungen

Neben körperlich­en Folgen, die eine Infektion mit Sars-CoV-2 nach sich zieht, kann Covid-19 auch Spuren in der Psyche hinterlass­en. Eisenmann erzählt, in Wuhan habe man mehrere Hundert Genesene zur Nachkontro­lle geladen. „Ein Großteil dieser Menschen lebte mit der Angst, noch einmal zu erkranken oder sozial stigmatisi­ert zu sein. Bis zu 50 Prozent von ihnen litten unter Schlafstör­ungen“, berichtet der Pneumologe.

Dr. Lauren Ferrante von der Yale School of Medicine sagte der „New York Times“: „Es ist normal, dass Patienten posttrauma­tische Belastungs­störungen haben, wenn sie das durchgemac­ht haben – Albträume, Depression­en, Angst. Weil sie sich erinnern, was passiert ist.“

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FOTO: AP Wie diese 72 Jahre alte Frau in Belgien, müssen viele ehemalige Covid-19-Patienten in eine Reha-Klinik.

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