Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Wildkatze erobert neue Lebensräume Artenvielfalt am Kyffhäuser
Das Tier ist in der Region wieder gut vertreten, vielleicht häufiger als im Hainich
Kyffhäuserkreis. Als Naturschützer Wolfgang Sauerbier noch ein Junge war, bewunderte er in der Buchhandlung Werneburg in Bad Frankenhausen eine ausgestopfte, präparierte Wildkatze. Die stand im obersten Regal und sollte der Legende nach das letzte Tier seiner Art in der Region gewesen sein...
„Wir wissen, dass dem nicht so war“, sagt der 69-Jährige lächelnd. Zwar habe das Tier vom 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts tatsächlich kurz vor der Ausrottung gestanden. Aber bereits im Jahre 1965 konnte Wolfgang Sauerbier als junger Naturforscher mit seinen Mitstreitern in der Region des heutigen Kyffhäuserkreises drei sogenannte Einstandsgebiete nachweisen, in denen Wildkatzen sich – wieder oder immer noch – heimisch fühlten: nahe Steinthaleben, bei Tilleda und am Kulpenberg.
Mittlerweile finden sich im Kyffhäuserkreis 25 bis 30 Hotspots. „Sie gehört wieder zu unseren Wäldern dazu und ist immer häufiger anzutreffen – eine erfreuliche Entwicklung“, befindet Sauerbier. Förster, Jäger, Bauern, Spaziergänger – „mit etwas Glück und Geduld bekommt man sie zu Gesicht.“Weiß er doch auch, wie scheu die nacht- und dämmerungsaktiven Samtpfoten sind und wie intelligent sie sich tarnen können.
Kleinnager machen einen Großteil der Nahrung aus
Und obwohl die Population sich erholt, ist die Katze immer noch selten: In Thüringen wird sie nach wie vor als vom Aussterben bedroht geführt. In Deutschland leben laut Naturschutzbund noch 5000 Tiere, gut 500 davon in Thüringen. Sowohl Sauerbier als auch Uli Klüßendorf stützen die These, dass es in unserer Region mehr davon gibt als im Unstrut-Hainich-Kreis, der mit dem Vorkommen dort wirbt. „Die vermarkten das nur besser“, sagt der Sondershäuser Forstamtsleiter.
Auch er hat mehrfach bei Arbeitsund Spaziergängen „das mit seiner Sprungkraft und Balance faszinierende Tier“beobachten können. Die Bedingungen für Artenvielfalt, für welche die Wildkatze ein Indikator ist, seien vor allem durch die abwechslungsreiche Landschaft hier besser. Gerade am Südrand der Hainleite sichte man nun häufiger die Katze. Grund: Weil durch Trockenheit und Borkenkäfer geschädigte Fichtenbestände beräumt wurden, entstanden freie, offene Flächen. Die nutzt die Katze gern zur Mäusejagd.
Dass sie große Vogelräuber seien, darin sieht Klüßendorf einen Trugschluss: Über 80 Prozent der Nahrung machen Kleinnager aus, vor allem Wühlmäuse. Nur bei geschlossener Schneedecke weicht die Katze
auf Vögel oder auch geschwächte Kaninchen aus.
Bei den Förstern im Kyffhäuserkreis treffen allerdings auch jedes Jahr um die fünf Meldungen zu im Straßenverkehr überfahrenen Wildkatzen ein. Und angesichts eines Thüringer Falles, wo Wanderer vor kurzem ein Geheck fanden, mahnt Klüßendorf an, um Jungtiere einen großen Bogen zu machen. Die Gefahr, dass die Katzenmutter den Nachwuchs für immer verlässt, sei riesengroß.
Um die Situation der Wildkatzen in der Region zu erfassen, ist das sogenannte Monitoring wichtig. Auch in der Hohen Schrecke, in der 1986 erstmals bei Langenthal ein Tier gesichtet wurde – und die sich mittlerweile zu einem weiteren Schwerpunkt entwickelt hat. Gerlinde Straka von der Naturstiftung David hat ebenfalls schon mehrfach die Katzen beobachtet und mit ihren Mitstreitern hier im Rahmen eines Projekts zahlreiche sogenannte Lockstock-Fallen ausgebracht: mit
Baldrian. Denn bei jenem für Menschen beruhigend wirkenden Stoff werden Katzen liebestoll; sie reiben sich mitunter minutenlang an den Fallen. Anhand der hängengebliebenen Haare wird der Nachweis erbracht. Dies geschieht auch durch Fotofallen oder DNA-Tests tot aufgefundener Tiere.
Lockstöcke finden sich auch am Schlachtberg bei Bad Frankenhausen oder im Wald bei Bendeleben. Doch besonders erfolgreich sind die Naturschützer aktuell in der Schrecke. Was auch schon erste Auswirkung eines sich entwickelnden „Rettungsnetzes“sein kann. Das soll die Waldgebiete am Kyffhäuser, an Windleite und Hainleite, besser mit Hainich, Schrecke und Südharz verbinden. Denn die Katzen nutzen bis zu 4000 Hektar große Streifreviere, meiden aber längere Wege über offene Flächen. In der schützenden Deckung von Waldinseln und Feld-Heckenstreifen kann sie dann in größere Waldgebiete schleichen, und diese erobern. Die Wildkatze – auf dem Sprung in neue Lebensräume.