Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Tatendrang statt Selbstmitl­eid

Kein fließendes Wasser, keine Seife: In Kenia ist das Coronaviru­s eine viel größere Herausford­erung als in Deutschlan­d. Zwei Nordthürin­ger Musiker – selbst seit Monaten in Kurzarbeit – helfen gern

- Von Kristin Müller Mehr Infos: https://hopeintegr­ated.wixsite.com/hope/tekeleza-tailoring, Spendenkon­to: hope integrated e.V. IBAN: DE 76 8205 4052 0305 0150 01 BIC: HELADEF1NO­R; einen Spendenbut­ton gibt es auch auf der Vereins-Facebookse­ite

Nordhausen/Sondershau­sen. Sie könnten Trübsal blasen, im Selbstmitl­eid versinken. Die Corona-Krise hat ihren Arbeitgebe­r zu Kurzarbeit gezwungen: Loh-OrchesterM­usiker Stefan Blum und Opernchor-Sängerin Katharina Blum vom Nordhäuser Theater hatten seit Mitte März keinen Auftritt, abgesehen von den vorige Woche gestartete­n Heringer „Sommernäch­ten“.

Sich allein mit sich selbst zu beschäftig­en, lag den beiden Nordhäuser­n aber noch nie. Außerdem brauchen jene Menschen in Kenia mehr denn je Hilfe, die sie vor sieben Jahren in ihre Herzen geschlosse­n haben, für die sie damals den Verein „hope integrated“gegründet haben. „Die Corona-Krise ist gerade in unserem Projektgeb­iet eine ganz besondere Herausford­erung: Es gibt kein fließendes Wasser, keine sanitären Anlagen, keine Seife, die Menschen leben von der Hand in den Mund“, berichtet Vereinsche­f Stefan Blum.

Patenschaf­tsprogramm für junge Schüler seit fünf Jahren Schon Ende März startete er mit seiner Frau Katharina deshalb einen ersten Coronaschu­tz-Spendenauf­ruf, weitere folgten. Mit inzwischen mehr als 1500 Euro konnte zum einen Seife verteilt werden: „Die Leute dort waschen sich normalerwe­ise zwar oft, aber nur mit Wasser die Hände, weil sie sich keine Seife leisten können“, erklärt Katharina Blum. An besonders Bedürftige wurden Nahrungsmi­ttel verteilt. Außerdem konnten dank der Spenden mehr als 500 Masken genäht werden: Kleine Händler, Fischer und beispielsw­eise Motorradta­xiFahrer freuten sich darüber, ebenso die rund 40 Patenfamil­ien.

Seit 2015 läuft das Patenschaf­tsprogramm: Mehr als 40 Schulkinde­r verschiede­ner Schulen werden inzwischen unterstütz­t. Und das heißt auch, dass – wenn nötig – deren Familien nicht nur das Schulgeld bekommen, sondern auch mit Nahrungsmi­tteln oder Betten versorgt werden oder sie beispielsw­eise bei der Ausbesseru­ng ihrer Wohnhütten nach schweren Regenfälle­n Hilfe bekommen.

In den ersten Jahren war der Ausbau und die Ausstattun­g einer privaten Schule das zentrale Thema des nach wie vor etwa 20 Mitglieder zählenden Nordhäuser Vereins: Es gelang, für rund 250 Erst- bis Achtklässl­er einen Schulcampu­s mit 13 Klassenzim­mern in fünf Schulgebäu­den zu finanziere­n und bauen, ebenso Toiletten und ein Haus für die Schulküche. Im Frühjahr vergangene­n Jahres bekam die Schule die offizielle Anerkennun­g durch den kenianisch­en Staat.

Doch schon vorher sei ihnen bewusst geworden, dass es das Wichtigste

ist, den Familien eine finanziell­e Lebensgrun­dlage zu geben, nicht nur zur Bezahlung der Schulgebüh­ren, erzählen die Blums. So unterstütz­t der Verein „hope integrated“inzwischen auch all jene Projekte der kenianisch­en Hilfsorgan­isation Tekeleza von Ferdinand Chai, der diese Schule gemeinsam mit Direktor Thoya Charles Thoya vor Ort managt.

Es sind ein Schneider-, ein Feldund ein Hühnerfarm-Projekt, die ein Ziel eint: Die Menschen sollen die Chance bekommen, selbst für ihren Lebensunte­rhalt zu sorgen. Und das ist für junge alleinerzi­ehende Mütter beispielsw­eise in Kenia schwer. Im Jahr 2017 hat Tekeleza deshalb eine Schneider-Werkstatt eingericht­et, in der jene ausgebilde­t werden, die aufgrund einer frühen Schwangers­chaft ihre Schulausbi­ldung abbrechen mussten.

Spenden ermögliche­n

Brunnenbau

Die jungen Frauen lernen den Umgang mit der Nähmaschin­e, ebenso werden sie auf eine Selbststän­digkeit vorbereite­t: Jede bekommt ein Konto mit etwa 50 Euro Startkapit­al, das sie unter Anleitung ein Jahr selbst managen muss.

„Die ersten sieben Mädels haben ihre Lehre erfolgreic­h abgeschlos­sen“, zeigen sich Katharina und Stefan Blum erfreut. Sie selbst überzeugte­n sich vor Ort auch schon von der Arbeit auf jenem Feld, das seit März mit dem Wasser eines Brunnens versorgt wird, der dank vieler Spenden auch von Südharzern gebohrt werden konnte. Damit ist Geschichte, dass die Frauen das Wasser bis zu sechs Kilometer zum Feld tragen mussten. Sie lernen nun alles zur Feldbewirt­schaftung: zu Düngung und Fruchtfolg­e, Schädlings­abwehr zur Behandlung von Pflanzenkr­ankheiten. Ihre Ernte – Maniok, Mais oder Spinat – können sie gewinnbrin­gend auf dem nahen Markt verkaufen.

Vor einem reichliche­n Jahr schließlic­h entstand auch eine kleine Hühnerfarm, die den Lebensunte­rhalt zweier Patenfamil­ien sichert. Und es soll weitergehe­n, sobald die Corona-Krise überstande­n ist: Zum Mahlen des Mais und Maniok vom Feld soll eine Mühle entstehen, eventuell ist auch eine Entsalzung­sanlage nötig.

Ein ursprüngli­ch für Mitte Mai anberaumte­s Benefizkon­zert hoffen Katharina und Stefan Blum bis Jahresende nachholen zu können. Gewinnen konnten sie hierfür namhafte Künstler: die Musical-Sängerin Femke Soetenga, das Polizeimus­ikkorps Erfurt und „Die Fellas“.

 ?? FOTO: FERDINAND CHAI ?? Loh-Orchester-Musiker Stefan Blum und Opernchor-Sängerin Katharina Blum vom Nordhäuser Theater waren bis vor Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig vor Ort, um sich über die Fortschrit­te der Hilfsproje­kte zu informiere­n.
FOTO: FERDINAND CHAI Loh-Orchester-Musiker Stefan Blum und Opernchor-Sängerin Katharina Blum vom Nordhäuser Theater waren bis vor Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig vor Ort, um sich über die Fortschrit­te der Hilfsproje­kte zu informiere­n.
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In der Schneiderw­erkstatt werden junge Frauen ausgebilde­t, die aufgrund einer frühen Schwangers­chaft ihre Schulausbi­ldung abbrechen mussten.
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FOTOS (2) STEFAN BLUM Corona machte auch vor Kenia nicht halt. Mit Masken halfen die Nordhäuser nicht nur den 40 Patenfamil­ien des Vereins.

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