Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Tatendrang statt Selbstmitleid
Kein fließendes Wasser, keine Seife: In Kenia ist das Coronavirus eine viel größere Herausforderung als in Deutschland. Zwei Nordthüringer Musiker – selbst seit Monaten in Kurzarbeit – helfen gern
Nordhausen/Sondershausen. Sie könnten Trübsal blasen, im Selbstmitleid versinken. Die Corona-Krise hat ihren Arbeitgeber zu Kurzarbeit gezwungen: Loh-OrchesterMusiker Stefan Blum und Opernchor-Sängerin Katharina Blum vom Nordhäuser Theater hatten seit Mitte März keinen Auftritt, abgesehen von den vorige Woche gestarteten Heringer „Sommernächten“.
Sich allein mit sich selbst zu beschäftigen, lag den beiden Nordhäusern aber noch nie. Außerdem brauchen jene Menschen in Kenia mehr denn je Hilfe, die sie vor sieben Jahren in ihre Herzen geschlossen haben, für die sie damals den Verein „hope integrated“gegründet haben. „Die Corona-Krise ist gerade in unserem Projektgebiet eine ganz besondere Herausforderung: Es gibt kein fließendes Wasser, keine sanitären Anlagen, keine Seife, die Menschen leben von der Hand in den Mund“, berichtet Vereinschef Stefan Blum.
Patenschaftsprogramm für junge Schüler seit fünf Jahren Schon Ende März startete er mit seiner Frau Katharina deshalb einen ersten Coronaschutz-Spendenaufruf, weitere folgten. Mit inzwischen mehr als 1500 Euro konnte zum einen Seife verteilt werden: „Die Leute dort waschen sich normalerweise zwar oft, aber nur mit Wasser die Hände, weil sie sich keine Seife leisten können“, erklärt Katharina Blum. An besonders Bedürftige wurden Nahrungsmittel verteilt. Außerdem konnten dank der Spenden mehr als 500 Masken genäht werden: Kleine Händler, Fischer und beispielsweise MotorradtaxiFahrer freuten sich darüber, ebenso die rund 40 Patenfamilien.
Seit 2015 läuft das Patenschaftsprogramm: Mehr als 40 Schulkinder verschiedener Schulen werden inzwischen unterstützt. Und das heißt auch, dass – wenn nötig – deren Familien nicht nur das Schulgeld bekommen, sondern auch mit Nahrungsmitteln oder Betten versorgt werden oder sie beispielsweise bei der Ausbesserung ihrer Wohnhütten nach schweren Regenfällen Hilfe bekommen.
In den ersten Jahren war der Ausbau und die Ausstattung einer privaten Schule das zentrale Thema des nach wie vor etwa 20 Mitglieder zählenden Nordhäuser Vereins: Es gelang, für rund 250 Erst- bis Achtklässler einen Schulcampus mit 13 Klassenzimmern in fünf Schulgebäuden zu finanzieren und bauen, ebenso Toiletten und ein Haus für die Schulküche. Im Frühjahr vergangenen Jahres bekam die Schule die offizielle Anerkennung durch den kenianischen Staat.
Doch schon vorher sei ihnen bewusst geworden, dass es das Wichtigste
ist, den Familien eine finanzielle Lebensgrundlage zu geben, nicht nur zur Bezahlung der Schulgebühren, erzählen die Blums. So unterstützt der Verein „hope integrated“inzwischen auch all jene Projekte der kenianischen Hilfsorganisation Tekeleza von Ferdinand Chai, der diese Schule gemeinsam mit Direktor Thoya Charles Thoya vor Ort managt.
Es sind ein Schneider-, ein Feldund ein Hühnerfarm-Projekt, die ein Ziel eint: Die Menschen sollen die Chance bekommen, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Und das ist für junge alleinerziehende Mütter beispielsweise in Kenia schwer. Im Jahr 2017 hat Tekeleza deshalb eine Schneider-Werkstatt eingerichtet, in der jene ausgebildet werden, die aufgrund einer frühen Schwangerschaft ihre Schulausbildung abbrechen mussten.
Spenden ermöglichen
Brunnenbau
Die jungen Frauen lernen den Umgang mit der Nähmaschine, ebenso werden sie auf eine Selbstständigkeit vorbereitet: Jede bekommt ein Konto mit etwa 50 Euro Startkapital, das sie unter Anleitung ein Jahr selbst managen muss.
„Die ersten sieben Mädels haben ihre Lehre erfolgreich abgeschlossen“, zeigen sich Katharina und Stefan Blum erfreut. Sie selbst überzeugten sich vor Ort auch schon von der Arbeit auf jenem Feld, das seit März mit dem Wasser eines Brunnens versorgt wird, der dank vieler Spenden auch von Südharzern gebohrt werden konnte. Damit ist Geschichte, dass die Frauen das Wasser bis zu sechs Kilometer zum Feld tragen mussten. Sie lernen nun alles zur Feldbewirtschaftung: zu Düngung und Fruchtfolge, Schädlingsabwehr zur Behandlung von Pflanzenkrankheiten. Ihre Ernte – Maniok, Mais oder Spinat – können sie gewinnbringend auf dem nahen Markt verkaufen.
Vor einem reichlichen Jahr schließlich entstand auch eine kleine Hühnerfarm, die den Lebensunterhalt zweier Patenfamilien sichert. Und es soll weitergehen, sobald die Corona-Krise überstanden ist: Zum Mahlen des Mais und Maniok vom Feld soll eine Mühle entstehen, eventuell ist auch eine Entsalzungsanlage nötig.
Ein ursprünglich für Mitte Mai anberaumtes Benefizkonzert hoffen Katharina und Stefan Blum bis Jahresende nachholen zu können. Gewinnen konnten sie hierfür namhafte Künstler: die Musical-Sängerin Femke Soetenga, das Polizeimusikkorps Erfurt und „Die Fellas“.