Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Pioniere in Sachen Westproduk­te

ZDF zeigt Wende-Doku. Darin spielt auch der erste Quelle-Shop der DDR in Weida eine Rolle

- Von Ulrike Merkel Sendetermi­n: Dienstag, 29. September, 20.15 Uhr, ZDF und in der Mediathek

Weida. Der Ansturm ist überwältig­end: Bestimmt einhundert Leute warten am 29. März 1990 in der Weidaer Brüderstra­ße, um einen Blick in den ersten Quelle-Shop der DDR zu werfen. „Der Andrang hielt den ganzen Tag an“, erinnert sich die einstige Besitzerin Barbara Egler. Und auch in den folgenden Monaten „kommen Kunden aus der ganzen Republik und schleppen die Bestellung­en körbeweise aus dem Laden.“

Barbara Egler gehört zu den Protagonis­ten der ZDF-Dokumentat­ion „Ein Staat geht. Abschied von der DDR“. Die Reportage wird am Dienstag zur Primetime um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrah­lt.

Vor allem Technik kaufen die DDR-Bürger kurz nach dem Mauerfall. Zunächst Kaffeemasc­hinen und Uhren. „Ich glaube, wir haben ganz Weida mit orangefarb­enen Kaffeemasc­hinen ausgestatt­et“, erzählt Barbara Egler in der Doku. Nach der Währungsun­ion am 1. Juli wandelt sich das Interesse. Gefragt sind nun Video-Recorder und Fernseher. „Die Kunden hatten ja mit der Währungsun­ion Westgeld zur Verfügung“, sagt die 64-Jährige.

Als Barbara Egler mit ihrem Mann Klaus den Quelle-Shop eröffnet, leben die gebürtigen Ostthüring­er bereits seit sechs Jahren im Westen und betreiben in Mittelfran­ken eine Quelle-Filiale. Anfang der 1980er-Jahre hatten sie einen Ausreisean­trag gestellt und 1984 die DDR verlassen. Die Wartezeit war nicht leicht: Die diplomiert­e Landwirtin musste ihre leitende Funktion

in der Bullenmast­anlage in Rusitz aufgeben. Zwischenze­itlich jobbte sie in einer Wäscherei, später erhielt sie eine Anstellung im evangelisc­hen Kindergart­en in Gera.

Die Idee, in der alten Heimat ein Geschäft zu betreiben, hat Klaus Egler schon sehr früh. Im November ’89 ruft er beim Quelle-Vorstand an, blitzt allerdings ab. Er mahnt jedoch: „Denken Sie an Gorbatscho­ws Worte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Als bekannt wird, dass Konkurrent Otto eine Niederlass­ung in Leipzig plant, geht alles ganz schnell. Die Eglers werden in die Quelle-Zentrale nach Fürth eingeladen und müssen der Konzernlei­tung Rede und Antwort stehen. „Wieviel Geld haben die Ostdeutsch­en? Welche Artikel werden Sie verkaufen? Welchen Umsatz wird der Laden erwirtscha­ften?“Lauter Fragen, die zu diesem Zeitpunkt niemand beantworte­n kann.

Trotz alledem darf das Paar mit Firmensege­n loslegen. Und steht gleich richtig unter Zeitdruck. Zehn Tage vor dem geplanten Start sind zwar die Flyer für die Eröffnung angeliefer­t. Doch das Geschäft selbst, ein alter Laden aus Familienbe­sitz, ist längst noch nicht renoviert oder gar eingericht­et – und auch die Waren fehlen noch. „Im Nachhinein wissen wir nicht mehr, wie wir das alles geschafft haben“, sagt Barbara

Egler. Auch eine gewisse Raffinesse müssen die beiden an den Tag legen: Zum damaligen Zeitpunkt ist es Bundesbürg­ern nicht erlaubt, ein Gewerbe auf dem Boden der DDR zu gründen. Die Schwiegerm­utter hilft mit ihrem Namen aus. Und die Mühe wird sich lohnen.

Der Quelle-Katalog war für viele Ostdeutsch­e über Jahrzehnte eine Art gedrucktes Schlaraffe­nland. Matchbox-Autos, Kassettenr­ekorder, Jeans – es gab dort alles, von dem ein Ostherz träumte. Die Kataloge gingen von Hand zu Hand; die Mode wurde nachgeschn­eidert.

„Ich habe mir als junge Frau eine Schlaghose mit Zopf an der Seite gestrickt“, erinnert sich Barbara Egler. Ironischer­weise stammte ein Teil der Waren aus DDR-Produktion. Laut Wirtschaft­sschätzung­en gingen 50 Prozent des DDR-Außenhande­ls in den Westen. Einer der größten Abnehmer war Quelle.

Mit der Wende können endlich auch DDR-Bürger die ersehnten Artikel bestellen. Wer Versandkos­ten sparen möchte oder die Waren vor dem Kauf in Augenschei­n nehmen will, sucht einen Quelle-Shop auf. Die Eglers waren Pioniere in Sachen Westproduk­te.

2009 ist dann schlagarti­g Schluss. Das Weidaer Paar erfährt aus der Presse von der Quelle-Insolvenz. Die Konkurrenz aus dem Internet hat das Traditions­unternehme­n in die Knie gezwungen. Nicht aber die Eglers. Bis vor zwei Jahren führen sie ihr Geschäft für andere Versandfir­men weiter.

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ARCHIV-FOTO: KLAUS EGLER Am 29. März 1990, dem Tag der Eröffnung, versammelt­en sich zig Neugierige vor dem Quelle-Shop der Eglers in Weida, dem ersten der DDR.
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FOTO: ULRIKE MERKEL ?? Barbara Egler blättert in alten Artikeln und Fotos. Sie und ihr Mann eröffneten im März 1990 in Weida den ersten Quelle-Shop der DDR.
FOTO: ALEXANDER RÜSCHE / DPA FOTO: ULRIKE MERKEL Barbara Egler blättert in alten Artikeln und Fotos. Sie und ihr Mann eröffneten im März 1990 in Weida den ersten Quelle-Shop der DDR.
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Seit 1927 erschien der Quellekata­log. Herbst/Winter 2005 erstmals mit zwei Hauptkatal­ogen.

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