Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Pioniere in Sachen Westprodukte
ZDF zeigt Wende-Doku. Darin spielt auch der erste Quelle-Shop der DDR in Weida eine Rolle
Weida. Der Ansturm ist überwältigend: Bestimmt einhundert Leute warten am 29. März 1990 in der Weidaer Brüderstraße, um einen Blick in den ersten Quelle-Shop der DDR zu werfen. „Der Andrang hielt den ganzen Tag an“, erinnert sich die einstige Besitzerin Barbara Egler. Und auch in den folgenden Monaten „kommen Kunden aus der ganzen Republik und schleppen die Bestellungen körbeweise aus dem Laden.“
Barbara Egler gehört zu den Protagonisten der ZDF-Dokumentation „Ein Staat geht. Abschied von der DDR“. Die Reportage wird am Dienstag zur Primetime um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt.
Vor allem Technik kaufen die DDR-Bürger kurz nach dem Mauerfall. Zunächst Kaffeemaschinen und Uhren. „Ich glaube, wir haben ganz Weida mit orangefarbenen Kaffeemaschinen ausgestattet“, erzählt Barbara Egler in der Doku. Nach der Währungsunion am 1. Juli wandelt sich das Interesse. Gefragt sind nun Video-Recorder und Fernseher. „Die Kunden hatten ja mit der Währungsunion Westgeld zur Verfügung“, sagt die 64-Jährige.
Als Barbara Egler mit ihrem Mann Klaus den Quelle-Shop eröffnet, leben die gebürtigen Ostthüringer bereits seit sechs Jahren im Westen und betreiben in Mittelfranken eine Quelle-Filiale. Anfang der 1980er-Jahre hatten sie einen Ausreiseantrag gestellt und 1984 die DDR verlassen. Die Wartezeit war nicht leicht: Die diplomierte Landwirtin musste ihre leitende Funktion
in der Bullenmastanlage in Rusitz aufgeben. Zwischenzeitlich jobbte sie in einer Wäscherei, später erhielt sie eine Anstellung im evangelischen Kindergarten in Gera.
Die Idee, in der alten Heimat ein Geschäft zu betreiben, hat Klaus Egler schon sehr früh. Im November ’89 ruft er beim Quelle-Vorstand an, blitzt allerdings ab. Er mahnt jedoch: „Denken Sie an Gorbatschows Worte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
Als bekannt wird, dass Konkurrent Otto eine Niederlassung in Leipzig plant, geht alles ganz schnell. Die Eglers werden in die Quelle-Zentrale nach Fürth eingeladen und müssen der Konzernleitung Rede und Antwort stehen. „Wieviel Geld haben die Ostdeutschen? Welche Artikel werden Sie verkaufen? Welchen Umsatz wird der Laden erwirtschaften?“Lauter Fragen, die zu diesem Zeitpunkt niemand beantworten kann.
Trotz alledem darf das Paar mit Firmensegen loslegen. Und steht gleich richtig unter Zeitdruck. Zehn Tage vor dem geplanten Start sind zwar die Flyer für die Eröffnung angeliefert. Doch das Geschäft selbst, ein alter Laden aus Familienbesitz, ist längst noch nicht renoviert oder gar eingerichtet – und auch die Waren fehlen noch. „Im Nachhinein wissen wir nicht mehr, wie wir das alles geschafft haben“, sagt Barbara
Egler. Auch eine gewisse Raffinesse müssen die beiden an den Tag legen: Zum damaligen Zeitpunkt ist es Bundesbürgern nicht erlaubt, ein Gewerbe auf dem Boden der DDR zu gründen. Die Schwiegermutter hilft mit ihrem Namen aus. Und die Mühe wird sich lohnen.
Der Quelle-Katalog war für viele Ostdeutsche über Jahrzehnte eine Art gedrucktes Schlaraffenland. Matchbox-Autos, Kassettenrekorder, Jeans – es gab dort alles, von dem ein Ostherz träumte. Die Kataloge gingen von Hand zu Hand; die Mode wurde nachgeschneidert.
„Ich habe mir als junge Frau eine Schlaghose mit Zopf an der Seite gestrickt“, erinnert sich Barbara Egler. Ironischerweise stammte ein Teil der Waren aus DDR-Produktion. Laut Wirtschaftsschätzungen gingen 50 Prozent des DDR-Außenhandels in den Westen. Einer der größten Abnehmer war Quelle.
Mit der Wende können endlich auch DDR-Bürger die ersehnten Artikel bestellen. Wer Versandkosten sparen möchte oder die Waren vor dem Kauf in Augenschein nehmen will, sucht einen Quelle-Shop auf. Die Eglers waren Pioniere in Sachen Westprodukte.
2009 ist dann schlagartig Schluss. Das Weidaer Paar erfährt aus der Presse von der Quelle-Insolvenz. Die Konkurrenz aus dem Internet hat das Traditionsunternehmen in die Knie gezwungen. Nicht aber die Eglers. Bis vor zwei Jahren führen sie ihr Geschäft für andere Versandfirmen weiter.