Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Rotkäppchens Siegeszug
30 Jahre deutsche Einheit: Nach der Wende lag der Sekthersteller am Boden. Heute ist er Marktführer
Freyburg. Majestätisch thront Schloss Neuenburg auf einem Berg oberhalb der kleinen Stadt Freyburg. Rebstöcke zieren die Hänge hinauf zur Festungsanlage. Doch das eigentliche Wahrzeichen der knapp 5000 Einwohner zählenden Stadt am Fluss der Unstrut steht unten, im Herzen des Ortes. Nicht minder prunkvoll erhebt sich ein Gebäude mit Erker, Säulengang und Lichthof. Neben einer drei Meter großen Werbeflasche auf dem Dach des Hauses leuchtet in roter Schrift „Rotkäppchen“. Hier, im südlichen Sachsen-Anhalt ist die Heimat von Rotkäppchen-Mumm, dem größten deutschen Sekthersteller. Und hier nimmt eine Erfolgsgeschichte ihren Lauf.
Mehr als jede zweite Flasche Sekt, die in Deutschland über die Ladentheke geht, gehört zum Rotkäppchen-Mumm-Konzern. 310 Millionen Flaschen Sekt verkaufte Rotkäppchen-Mumm im vergangenen Jahr. Auch mit knapp 63 Millionen Flaschen Spirituosen und 54 Millionen Flaschen Wein hat man die Nase vorn. Dahinter drängt nur Konkurrent Henkell Freixenet. „30 Jahre nach der deutschen Einheit sind wir sowohl im Westen als auch im Osten Marktführer“, sagt Rotkäppchen-Chef Christof Queisser.
Dass es so weit gekommen ist, ist alles andere als selbstverständlich. In der DDR wurde Rotkäppchen zum Volkseigenen Betrieb (VEB), hatte über 360 Mitarbeiter, verkaufte in der Spitze 15,5 Millionen Flaschen Sekt. „Unser Rotkäppchen“hieß er im Volksmund, war in der
DDR-Einzelhandelskette Intershop erhältlich und galt als Tauschware.
Mitarbeiter fuhren Sekt mit Privat-Pkw aus
Dann kam die Wende. Und während sich die Deutschen aus Ost und West feiernd in den Armen lagen und mit Sekt auf die Wiedervereinigung anstießen, herrschte bei Rotkäppchen bald nach der Wende Katerstimmung. Nur noch 1,1 Millionen Flaschen wurden im Jahr 1991 verkauft, der Umsatz brach auf 14,8 Millionen D-Mark ein. „Der
Absturz war zweierlei getrieben: Zum einen wollten nach der Wende die Ostdeutschen neue Marken ausprobieren. Zum anderen wurden die Einzelhandelsgeschäfte von westdeutschen Handelsunternehmen übernommen, das Warensortiment aus dem Westen mitgebracht. Rotkäppchen wurde damit vielerorts aus den Regalen verbannt“, sagt Queisser.
An dieser Stelle hätte die Geschichte enden können. Dass sie es nicht tat, lag an den Mitarbeitern, die die Marke nicht aufgeben wollten. Sie luden die Kofferräume ihrer Autos voll mit Flaschen, fuhren zu Wochenmärkten, tingelten durch das Land, priesen ihr Produkt an. „Das war ein ganz wichtiger Moment, weil man sich dagegengestemmt hat“, sagt Queisser.
Rotkäppchen überlebte, wuchs in der Hand der Treuhandanstalt langsam wieder. 1993 kauften die Führungskräfte in einem ManagementBuy-out das Unternehmen der Treuhand ab. Rotkäppchen hatte zu diesem Zeitpunkt nur noch 60 Mitarbeiter, der Marktanteil lag bei rund einem Prozent. Doch die Übernahme zahlte sich aus. Rotkäppchen wuchs rasant, 2002 wurden die Marken Mumm, Jules Mumm und MM Extra übernommen. Rotkäppchen hatte es im vereinten Deutschland zur Marktführerschaft gebracht. Und der einstige DDR-Musterbetrieb kaufte fleißig weiter zu. Ein Jahr später wurde Geldermann übernommen, 2006 Eckes Spirituosen.
Heute beschäftigt das Unternehmen 952 Mitarbeiter an sieben Standorten. Mittlerweile gehören unter anderem Frankreichs zweitgrößte Weinmarke Blanchet und Italiens Prosecco-Hersteller Ruggeri zum Konzern. Längst ist Rotkäppchen mehr als nur eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Es ist ein deutsch-deutscher Erfolg.