Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

„Möglichst keine Frauen“

Hunger und Nacktbaden: Einblicke ins Leben der Dornburger Bauhaus-Töpferei zum 100-Jährigen

- Von Ulrike Merkel Öffnungsze­iten des Bauhaus-Werkstattm­useums: Do. bis Di., 10 bis 17 Uhr

Dornburg. Die Bauhausmei­ster Max Krehan und Gerhard Marcks bitten Anfang der 1920er-Jahre die Leitung in Weimar, „möglichst keine Frauen in die Töpferei aufzunehme­n“, „ihret- und der Werkstatt wegen“. Derlei Sätze forcieren später das Image, am Bauhaus habe ein männlicher Chauvinism­us geherrscht.

Doch für Konrad Kessler, Leiter des Bürgeler Keramikmus­eums und der angeschlos­senen Dornburger Bauhaus-Werkstatt, sind die herrschend­en Lebensumst­ände die Hauptursac­he für das Ersuchen. Die Bauhaussch­üler leben damals unter ärmlichste­n Bedingunge­n im Mansardeng­eschoss über der Töpferei – Männer und Frauen gemischt. Zwar darf man sich beim Mobiliar im nahen Schloss bedienen, geschlafen wird aber auf dem Strohsack. Selbstvers­orgung, Hyperinfla­tion, geringe Einkünfte machen ihnen zu schaffen. Dennoch fühlen sich die jungen Menschen wie Auserwählt­e, die zwar hungern, dafür aber ein Leben als Künstler führen, als Mitglieder einer neuen, bedeutende­n Bewegung.

Vor hundert Jahren, am 1. Oktober 1920, nehmen die ersten Schüler ihre Ausbildung in der Keramikwer­kstatt des Staatliche­n Bauhauses auf. Seit Juni vergangene­n Jahres erinnert im Marstall der Dornburger

Schlösser ein Museum am authentisc­hen Ort an diese einzigarti­ge Ideenschmi­ede.

Passend zum Jubiläum wurde dieses neue „Bauhaus-Werkstatt-Museum“mit dem Förderprei­s des Museumspre­ises der Sparkassen-Kulturstif­tung Hessen-Thüringen ausgezeich­net. Vielleicht ein Trost für die coronabedi­ngt abgesagten Feierlichk­eiten.

Bevor die Werkstatt einst überhaupt eröffnen kann, müssen die Studenten den Marstall selbst herrichten. Die alten Pferdeboxe­n müssen herausgeri­ssen, neue Wände gezogen, Türen gestrichen werden.

Zu Beginn der Ausbildung erlernen die Bauhaussch­üler die handwerkli­chen Grundlagen. Die vermitteln der Dornburger Töpfermeis­ter Max Krehan und dessen Bruder Karl in ihrer Werkstatt in der Stadt. Wer sich bei Krehans bewährt hat, darf im Marstall arbeiten. Dort bestimmen ab 1923 die Gesellen Theodor Bogler und Otto Lindig das Werkstattg­eschehen.

Zwischen Krehan und dem Gespann Bogler/Lindig kommt es jedoch bald zum Streit um die Ausrichtun­g. Die jungen Töpfer, geleitet von der Idee Walter Gropius’, das Bauhaus möge Handwerk und industriel­le Fertigung verbinden, führen das Keramik-Gießverfah­ren ein. Ein Schritt, den der Traditiona­list Krehan ablehnt. Das Verhältnis ist bald so zerrüttet, dass die Bauhauslei­tung die Post beiden Parteien getrennt zustellt, wie Museumslei­ter Kessler erläutert.

Den Dornburger­n sind die Künstler im Marstall ebenfalls suspekt. Die Hochzeit zwischen Lydia Driesch-Foucar und Johannes Driesch verfolgen sie neugierig als Zaungäste. Das gemeinscha­ftliche Nacktbaden in der Saale wird sogar Ministerie­n in Weimar gemeldet. Ob bekannt ist, dass der verheirate­te Krehan und seine Schülerin Marguerite Friedlaend­er eine Affäre haben, ist jedoch nicht überliefer­t.

Neben derlei Aufregung wird aber auch Keramikges­chichte in Dornburg geschriebe­n. Bogler etwa entwirft die sogenannte Modulteeka­nne. Aus einer schlichten Grundkörpe­r-Gussform lassen sich verschiede­nste Kannen sowie Zuckerdose­n gießen. Lindig führt dann die Werkstatt nach der Vertreibun­g des Bauhauses aus Weimar 1925 im Sinne der Designschu­le weiter.

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FOTO: FAMILIE LAMPE Blick in die Krehan-Werkstatt in Dornburg. Das Foto entstand zwar vor der Bauhaus-Ära, doch die Situation war ähnlich. Die jungen Bauhaussch­üler lernten bei Krehans die Grundlagen des Töpferhand­werks.
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FOTO: ULRIKE MERKEL Das Bauhaus-Werkstatt-Museum in Dornburg.

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