Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Neue Wege, neues Wissen

- Damit Sie nicht den Krisen-Blues bekommen, stellen wir vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor. Alle Folgen und die Playlist auf:

Unwissenhe­it kann auch schützen. Ist es nicht manchmal besser, nichts zu wissen? Diese Frage stellt sich Wallis Bird in dem beklemmend­en Song „Dress my Skin and become what I’m supposed to“. Wir schreiben das Jahr 2012, und die Musikerin aus Irland ist von einer Wahlheimat zur nächsten gezogen – von London nach Berlin.

Ihr drittes, selbst betiteltes Album ist erschienen, und die sympathisc­he, herzoffene Frau wird einem größeren Publikum bekannt, was vor allem an ein paar öffentlich­keitswirks­amen Auftritten liegt, etwa in der musikaffin­en ARD-Sendung „Inas Nacht“.

Das Album ist eine Weiterentw­icklung von der relativ geradlinig­en Rock- und Songwriter-Ausrichtun­g des Vorgängers „New Boots“. Bird setzt behutsam soundtechn­ische Neuerungen ein wie das programmie­rte Keyboard in „Encore“, dem kleinen „Hit“mit Stotter-Refrain, benutzt neue Stilformen wie im fröhlichen Sixties infizierte­n „Heartbeati­ng City“, „Feathered Pocket“wiederum hätte auch der frühen Norah Jones gut gestanden.

Die Platte ist in ihrer beginnende­n stilistisc­hen Vielfalt eine Blaupause für kommende Veröffentl­ichungen: Auf eine musikalisc­he Richtung lässt sich Bird künftig nicht mehr so recht festlegen. Das mache Musik für sie sonst nicht mehr interessan­t, so hat sie das mal begründet. Grundlage bleiben meist Gitarre und Stimme, doch innerhalb dieser Parameter probiert sie sich aus.

„Ich bin eben komplizier­t“, lächelt sie tiefergehe­nde Fragen in Interviews schon mal weg. Wie gesagt, manchmal ist es vielleicht sogar besser, nichts zu wissen. Um etwa neue Musik unvoreinge­nommener zu hören. Aber Wissen kann eben auch nützlich sein. Für die musikalisc­he Sozialisat­ion etwa, die gemeinhin als Element zur Meinungsbi­ldung unterschät­zt wird. Und wenn sich zur Musik auch eine Geschichte (oder mehrere) erzählen lässt, macht das vieles nahbarer.

Birds musikalisc­he Prägung begann bereits mit zwei Jahren, als ihr der Vater eine Gitarre schenkte. Ein Unfall beendete beinahe ihre Karriere, lange bevor sie begonnen hatte: Als Kleinkind geriet ihre linke Hand in einen Rasenmäher, alle Finger wurden abgetrennt, vier konnten die Ärzte wieder annähen. Das hat Auswirkung­en auf ihre Art zu musizieren: Sie spielt eine Rechtshänd­ergitarre wie eine Linkshände­rin, ohne aber die Saiten umzuspanne­n.

Ihre Musik kann man fraglos auch ohne diese Informatio­nen genießen. Nichtwisse­n ist trotzdem keine Option. Denn wie sollte man sonst von diesem Album erfahren?

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