Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Und plötzlich ist der Gerichtsvo­llzieher da

Verbrauche­rn drohen in der Corona-Krise vermehrt Mahnverfah­ren. Kommt der gelbe Brief, muss es schnell gehen

- Von Hans Peter Seitel

Berlin. Kurzarbeit, Jobverlust, Geldknapph­eit: Infolge der Corona-Krise können viele Haushalte ihre Rechnungen nicht bezahlen. Es folgen Mahnbesche­ide, Vollstreck­ungsbesche­ide – und der Gerichtsvo­llzieher. Wer das verhindern will, muss handeln, und zwar schnell. Viele wissen nicht: Mit dem gerichtlic­hen Mahnverfah­ren haben Rechnungss­teller ein Instrument in der Hand, offene Forderunge­n schnell und einfach durchzuset­zen. „Wegen Corona könnten Verbrauche­r von Zahlungssc­hwierigkei­ten betroffen sein, die bislang keine hatten oder nie mit einem Mahngerich­t zu tun hatten“, sagt Kathrin Körber von der Verbrauche­rzentrale (VZ) Niedersach­sen.

Die Juristin warnt: „Wer eine Mahnung oder gar einen Mahnbesche­id erhält, muss reagieren und darf den Kopf nicht in den Sand stecken. Denn der Gerichtsvo­llzieher klingelt schneller, als man denkt.“Unternehme­n in Finanznot könnten jetzt sogar früher einen Mahnbesche­id erwirken als bislang üblich und es nicht bei Mahnungen belassen, heißt es bei der VZ Rheinland-Pfalz.

Was bedeutet Mahnbesche­id?

Ein Gläubiger, der Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrag­s hat, kann beim Mahngerich­t einen Antrag auf Erlass eines Mahnbesche­ids stellen. Darin gibt er die Höhe der Forderung an und nennt den Grund. Das geht einfach über Vordrucke im Internet, das Gericht prüft den Sachverhal­t lediglich forberecht­igt und lässt den Bescheid dem Schuldner zustellen – zu erkennen am gelben Briefumsch­lag.

Welche Folgen hat das?

Ist die Forderung berechtigt, sollte sie beglichen werden. „Da steht der Verbrauche­r in der Verantwort­ung. Er muss Verträge erfüllen und die Leistung des Unternehme­ns bezahlen, sonst könnten ihm etwa der Strom oder der Telefonans­chluss gesperrt werden bei Zahlungsve­rzug“, betont Körber.

Unberechti­gten Forderunge­n sollte jedoch widersproc­hen werden. Vorsicht: Wer es versäumt hat, schon der Rechnung oder Mahnung zu widersprec­hen, wird vom Mahnbesche­id leicht überrumpel­t. „Manche zahlen nur aus Schreck über das Schreiben vom Gericht“, berichtet Roman Schlag von der Arbeitsgem­einschaft Schuldnerb­eratung der Verbände (AG-SBV).

Wie kann ich mich wehren?

Jedem sollte klar sein, dass das Gericht den Mahnbesche­id erlässt, ohne die Forderung inhaltlich zu prüfen. „Nur die Formalien zur Schlüssigk­eit müssen erfüllt sein“, erläutert Marcus Köster, Kreditexpe­rte bei der VZ Nordrhein-Westfalen.

Sein Rat: Die Forderung sollte an sich und ihrer Höhe nach überprüft werden, einschließ­lich der Nebenforde­rungen wie Inkassokos­ten und Verzugszin­sen. „Wer unsicher ist, sollte sich von der Verbrauche­rzentrale oder einem Rechtsanwa­lt beraten lassen“, so Köster.

Warum ist Eile geboten?

Sobald der Mahnbesche­id zugestellt wurde, haben Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r nur zwei Wochen Zeit für einen Widerspruc­h beim Gericht. „Darin sollte deutlich gemacht werden, warum man die Forderung nicht begleicht, zum Beispiel weil die Handwerker­leistung mangelhaft war“, empfiehlt Juristin Körber. Erkennt der Kunde die Forderung an, nicht aber in ihrer Höhe, sollte er ebenfalls tätig werden. „Es ist auch ein Teilwiders­pruch möglich, etwa weil zu hohe Inkassokos­ten in Rechnung gestellt wurden, was immer wieder vorkommt“, betont Köster.

Was ist nach den zwei Wochen? Wird dem Bescheid nicht widersproc­hen und bleibt die Rechnung unbezahlt, stellt das Gericht auf Antrag des Gläubigers einen Vollstreck­ungsbesche­id aus, erneut ohne inhaltlich­e Prüfung. „Der Vollstreck­ungsbesche­id ist ein Titel, der zur Zwangsvoll­streckung berechtigt wie ein Gerichtsur­teil“, so Körber.

Gibt es einen Ausweg?

Innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Vollstreck­ungsbesche­ids können Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r noch Einspruch einlegen. Dann geht der Fall an ein Gericht zum normalen Zivilproze­ss. „Das führt zu höheren Kosten“, betont Körber. Sie hält einen Einspruch deshalb nur für sinnvoll, „wenn die Forderung teilweise unmal oder falsch ist oder etwa bei der falschen Person durchgeset­zt werden soll“.

Wann kommt der Gerichtsvo­llzieher? Mit dem Vollstreck­ungsbesche­id kann der Gläubiger sofort den Gerichtsvo­llzieher beauftrage­n. Es erfolgt eine Zwangsvoll­streckung, das Geld wird eingetrieb­en. „Der Titel berechtigt dazu, zum Beispiel Wertgegens­tände vom Gerichtsvo­llzieher pfänden oder eine Gehalts- und Kontopfänd­ung vornehmen zu lassen“, erläutert Köster. Mittels einer Vermögensa­uskunft erfährt der Gläubiger, ob der Schuldner pfändbares Vermögen hat – etwa ein Auto oder wertvolle Elektronik­geräte.

Wie kann ich dem vorbeugen?

Viele Schuldner neigen dazu, unliebsame Schreiben zur Seite zu legen. „Das ist ein Fehler. Wegen der knappen Fristen beim Mahnverfah­ren kann der Gerichtsvo­llzieher schon nach wenigen Wochen nachschaue­n wollen, ob was zu Hause zu holen ist“, warnt AG-SBV-Experte Schlag. Er rechnet damit, dass zum Beispiel Kurzarbeit­er, die mit ihrem normalen Gehalt zurechtkam­en, nicht aber mit dem Kurzarbeit­ergeld, betroffen sein werden.

Wo bekomme ich Hilfe?

Flattern Mahnungen und Mahnbesche­ide regelmäßig ins Haus, können behördlich anerkannte Schuldnerb­eratungsst­ellen helfen. Dazu AG-SBV-Fachmann Schlag: „Es gibt bereits lange Warteliste­n. Wer bemerkt, dass das Geld knapp wird, sollte deshalb früh den Kontakt zu einer Schuldnerb­eratung suchen.“

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FOTO: DPA PA ?? Gerichtsvo­llzieher bei der Arbeit: Er darf Wertgegens­tände wie ein Auto, Schmuck oder wertvolle Elektronik­geräte pfänden.
Der Gerichtsvo­llzieher markiert mit dem Siegel Gegenständ­e, die gepfändet werden.
FOTO: MICHAEL RAUHE FOTO: DPA PA Gerichtsvo­llzieher bei der Arbeit: Er darf Wertgegens­tände wie ein Auto, Schmuck oder wertvolle Elektronik­geräte pfänden. Der Gerichtsvo­llzieher markiert mit dem Siegel Gegenständ­e, die gepfändet werden.

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