Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Mit Burger im Bauch zum zweiten Gold
Heute vor 20 Jahren wurde Heike Drechsler noch einmal Olympiasiegerin. Es war ein magischer Moment – weil er so unerwartet kam
Hamburg. Heike Drechsler wird die Wanderschuhe schnüren, mit ihrem Mann geht es an diesem Tag raus in die Natur im Allgäu. Und dann wird in Erinnerungen geschwelgt. „Wir haben einen kleinen Champagner schon kalt gestellt“, sagt sie. Sie wollen sich „eine nette Hütte suchen und den Tag im Stillen genießen. Die große Party hatte ich ja schon.“Genau vor 20 Jahren.
Der 29. September 2000 war vermutlich der schönste Tag im Sportler-Leben der Heike Drechsler. Ihr zweites Olympia-Gold war die unwahrscheinlichste ihrer Medaillen. 6,99 Meter, mit 35 und nach vielen Verletzungen. Eine Sensation.
„Sydney – das war für mich etwas ganz Besonderes. Da habe ich ein Glücksgefühl erlebt, das kann man mit Worten nicht ausdrücken“, sagt Drechsler rückblickend. Dass sie US-Superstar Marion Jones schlug, die später wegen Dopings Bronze verlor, und „noch einmal ganz oben stand, war die Erfüllung eines Traums“, sagt sie: „Ein Highlight, wie die Geburt meines Sohnes. So etwas vergisst man nicht.“
Im Gegensatz zu früher gab sich Drechsler in Australien gelöst und locker. „2000 wusste ich, dass sich meine Karriere dem Ende entgegen neigt, es waren so etwas wie BonusSpiele“, sagt sie: „Ich habe einfach alles genossen und in mir geruht, ich war in einer Balance.“
Sechs Stunden vor dem Finale „habe ich noch einen dicken Burger gegessen, das habe ich sonst nie gemacht“, sagte Drechsler mit einem Lachen. Als ihr Gold dann nicht mehr zu nehmen war, „schwebte ich förmlich auf Wolke sieben und bin umher gehüpft wie ein Kind.“
Das Talent von Heike Drechsler, geborene Daute, hieß es früher, sei so groß, dass sie selbst mit Schwimmtraining eine überragende Leichtathletin geworden wäre. Schon mit 17 war sie 1983 Weltmeisterin, sie sprang Weltrekord und holte acht Jahre vor Sydney auch in Barcelona Olympia-Gold, sie wurde zweimal Weltmeisterin und fünfmal Europameisterin (über 200 m und im Weitsprung).
Die gebürtige Geraerin war Weltklasse im Siebenkampf, lief die 100 Meter unter elf Sekunden und hält noch heute den deutschen Rekord über 200 m (21,71 s), zusammen mit Marita Koch. Unter den zehn weitesten Sprüngen der LeichtathletikGeschichte finden sich gleich vier Versuche von Drechsler, die 1992 und 1988 jeweils 7,48 m weit geflogen war. In Sestriere war sie 1992 sogar 7,63 m weit gesprungen, der Rekord fand wegen zu viel Rückenwind jedoch keine Anerkennung.
Noch heute wird Drechsler auf Sydney angesprochen, vielleicht ja auch im Urlaub im Allgäu. „Das zeigt mir, dass man Spuren hinterlassen hat“, sagt sie, „und das macht mich auch ein bisschen stolz.“sid