Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Das Rätsel um die toten Oligarchen Binnen kurzer Zeit starben mehrere Russen, die durch Öl und Gas reich wurden. Steckt Putin dahinter?

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Die Hülsen der Patronen liegen noch auf dem Boden des Swimmingpo­ols, als die Ermittler eintreffen, und die Pistole noch am Beckenrand. Der leblose Körper schwimmt auf dem Wasser, die Kugeln trafen den Kopf. Das Haus mit dem Pool liegt in einem wohlhabend­en Vorort von Sankt Petersburg. Der Tote ist Juri Woronow, russischer Oligarch, mit Verbindung­en zum Staatskonz­ern Gazprom. Er führte das große Logistikun­ternehmen Astra Shipping.

Über die Tat und den Toten berichtet die britische Zeitung „Daily Mail“. Es heißt, dass russische Ermittler von einem Streit mit einem Geschäftsp­artner ausgehen. Woronows Frau soll ausgesagt haben, dass ihr Mann sich von „unehrenhaf­ten“Vertragspa­rtnern „um eine Menge Geld“betrogen sah. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Doch etwas fällt auf: Seit einigen Monaten berichten russische Nachrichte­nagenturen und letzte unabhängig­e Zeitungen von immer wieder tot aufgefunde­nen russischen Oligarchen. Im Februar: der 61 Jahre alte Alexander Tyulakow, Topmanager bei Gazprom, der sich offenbar an einem Strick in der Garage seines Anwesens in Moskau erhängte. Offensicht­lich ein Suizid – doch am Körper soll es Spuren von Schlägen gegeben haben.

Leonid Shulman wird kurz davor tot im Badezimmer aufgefunde­n, Ermittler entdecken Messereins­tiche am Handgelenk. Shulman war Abteilungs­leiter der Gazprom Investhold­ing, verantwort­ete Investitio­nen in die Transportb­ranche. Im April tötete sich der frühere Kremloffiz­ielle Wladislaw Awayew selbst – und zuvor Frau und Tochter. Awayew soll Verbindung­en zum Finanzinst­itut Gazpromban­k gehabt haben. Freunde sollen berichtet haben, dass Awayew die Tat aus Hass begangen haben soll, weil seine Frau ein Kind von seinem Fahrer erwartet habe.

Im spanischen Touristeno­rt Lloret de Mar entdeckten Ermittler im April auch die Leiche von Sergej Protasenya. Er soll sich aufgehängt haben, auch Ehefrau und Tochter lagen tot am Tatort. Protasenya war lange Zeit Chefbuchha­lter beim russischen Ölgiganten Nowatek. Und im Mai stirbt der Milliardär Alexander Subbotin, 43 Jahre alt. Er ist ein ehemaliger Manager beim Energierie­sen Lukoil. Subbotin soll vor dem Tod bei einem Schamanen in Behandlung gewesen sein und Krötengift eingenomme­n haben.

Viele Details zu den Umständen der Taten lassen sich abseits der Medienberi­chte nicht unabhängig überprüfen. Doch es fällt auf, dass alle Oligarchen Verbindung­en ins russische Energieges­chäft hatten. Alle wurden mit Öl und Gas reich. Nun sind sie tot – innerhalb weniger Monate.

Russlands Oligarchen sind bekannt für ihr Leben im Luxus, besitzen Yachten, Villen – und manche von ihnen ganze Profifußba­llmannscha­ften. Doch mit dem völkerrech­tswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine verhängten EU und USA scharfe Sanktionen: Sie treffen vor allem die Oligarchen hart, sollen russischen Einfluss durch Macht und Geld global beschneide­n. Allein die deutschen Behörden beschlagna­hmten hierzuland­e nach Informatio­nen unserer Redaktion bis Ende Juni Vermögen im Wert von rund 4,39 Milliarden Euro. Grundlage sind die EU-Sanktionsv­erordnunge­n gegen Russland.

Klar ist: Wer als Oligarch in Russland lebt, kann mit Rohstoffen viel Geld machen. Zwischen der Kremlelite um Putin und den reichen Managern gibt es ein informelle­s Abkommen: Wer sich nicht einmischt in die Politik, darf Geld machen. So beschreibt es die Journalist­in Maria Pewtschich. Schwindet die Loyalität zum Kreml, wird es gefährlich. Das prominente­ste Beispiel ist: Michail Chodorkows­ki. Der Russe machte mit seinem Konzern Jukos Milliarden. Doch irgendwann wurde der Geschäftsm­ann politisch aktiv, agierte gegen Präsident Putin. Chodorkows­ki musste jahrelang in Haft, angeblich wegen Steuerbetr­ugs. Heute lebt er im Exil in London – und kritisiert Russlands Angriff auf die Ukraine scharf.

Ähnlich erging es dem Oligarchen Lebedjew, der wie Chodorkows­ki inhaftiert wurde. Der Milliardär und Geschäftsm­ann Boris Beresowski, einst eng mit Putin verbandelt, wurde von den Kremlmacht­habern ins Exil gedrängt. 2013 fand ihn ein Angestellt­er tot im Badezimmer seines englischen Anwesens. Erst hieß es, Beresowski habe sich erhängt. Doch bis heute kann die britische Rechtsmedi­zin die genaue Todesursac­he nicht ermitteln.

Gerade jetzt, im Ukraine-Krieg, ist Putin offenbar zu allem entschloss­en. Und das gilt auch für Oligarchen, die sich gegen ihn stellen. Im März sprach Putin in einer Rede von „Landesverr­ätern“– und ganz im Jargon von Diktator Stalin von der „fünften Kolonne“, die es zu „reinigen“gelte. „Man spuckt sie aus wie eine Mücke.“

Die Hetze wirkt. Der Milliardär und Bankengrün­der Oleg Tinkow verurteilt­e Putins Krieg in der Ukraine scharf. Nun gibt er in einem Interview an, er habe Bodyguards angestellt und sich an einem unbekannte­n Wohnort versteckt. Nun sterben mehr als eine Handvoll Oligarchen innerhalb weniger Monate. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Auftraggeb­er eine Mordkampag­ne geplant haben und die Todesfälle als Suizide kaschierte­n. Verbindung­en zum Kreml sind nicht zu erkennen. Das alles bleibt Spekulatio­n – und da unabhängig­e Medien und eine unabhängig­e Justiz in Russland weitestgeh­end ausgeschal­tet sind, bleibt viel Raum für Spekulatio­nen.

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