Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Schuldige für Brückeneinsturz gesucht Vier Jahre nach der Katastrophe von Genua müssen sich 59 Personen vor Gericht verantworten
Vier endlose Stunden musste Gianluca Ardini, 29-jähriger Kaufmann aus Genua, ausharren, bevor er vor fast vier Jahren aus den Trümmern seines Lieferwagens geborgen wurde. Am 14. August 2018 war Ardini mit einem Kollegen auf der Morandi-Brücke in Genua unterwegs, als sein Fahrzeug 40 Meter in die Tiefe stürzte und sich in den Trümmern verkeilte. Bei der Katastrophe kamen 43 Menschen ums Leben.
Mit Brüchen und verletzter Schulter klammerte sich Ardini stundenlang an den Trümmern fest, bis Feuerwehrleute ihn erlösten. „Helft mir, ich werde bald Vater. Ich möchte meinen Sohn zur Welt kommen sehen“, rief er den Rettern verzweifelt zu. „Ich glaube, dass der unbedingte Wille, seinen Buben kennenzulernen, ihm die Kraft gegeben hat, sich da oben festzuhalten“, meinte seine Partnerin Giulia Organo. Ardinis Kollege im Wagen schaffte es dagegen nicht. Inzwischen ist Gianluca Vater geworden. Sein Sohn Pietro ist genau 30 Tage nach der Katastrophe zur Welt gekommen.
Fast vier Jahre nach dem Einsturz der Autobahnbrücke „Morandi“in Genua mit 43 Todesopfern hat am Donnerstag nun der Prozess begonnen. Angeklagt sind 59 Personen, darunter Giovanni Castellucci, ExChef der Autobahngesellschaft „Autostrade per l’Italia“(ASPI), Betreiberin der eingestürzten Brücke. Der Überlebende Ardini war zu Prozessbeginn anwesend. „Ich bin hier, weil ich den Angehörigen der Opfer nahe sein will.“Dabei umarmte er die Mutter von Mirko Vicini, einem Arbeitnehmer, der unter den Trümmern der Brücke das Leben verlor. „Wir hoffen, dass die Wahrheit über die Ursachen dieser Katastrophe beim Prozess ans Licht kommt“, so Egle Possetti, Sprecherin der Angehörigen der Todesopfer.
Bei den Angeklagten im Prozess handelt es sich um hochrangige Manager des Autobahnbetreibers, um Fachleute und höhergestellte Beamte des Verkehrsministeriums in Rom. Der Vorwurf lautet auf Fahrlässigkeit, Behinderung der Verkehrssicherheit, Fälschung und vorsätzliches Weglassen von Sicherheitsvorkehrungen. Der Staatsanwaltschaft von Genua zufolge hatten die meisten Verdächtigen mit dem Einsturz der in den 1960er-Jahren gebauten Brücke gerechnet. Trotzdem wurde nichts unternommen, um die Katastrophe zu verhindern, weil man bei der Instandhaltung möglichst viel Geld einsparen wollte, um den Aktionären höhere Dividenden zu sichern. Schon lange vor dem Einsturz soll bekannt gewesen sein, dass es Schäden am Bauwerk gab.
Die Anklage will mehr als 170 Zeugen anhören. Außerdem sind weit über 300 Zivilkläger zugelassen und weitere könnten noch folgen. Das Komitee, das die Familienangehörigen der Opfer vereint, will als Nebenkläger am Verfahren zugelassen werden. Der Prozess wird voraussichtlich zwei Jahre lang dauern. Die Anwälte des Hauptangeklagten,
Ex-Autobahnchef Castellucci, warnten, der Prozess dürfe nicht zu einer „Rache“gegen den Manager und die Autobahngesellschaft werden. „Castellucci hat keinerlei Verantwortung“, betonte sein Anwalt Giovanni Accinni. Die Verteidiger wollen beweisen, dass die Brücke wegen struktureller Bauschwächen eingestürzt sei, für die ihr Mandant nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Die Autobahngesellschaft ASPI steht unter Kontrolle der börsennotierten Atlantia-Holding. Der Konzern hat bereits insgesamt rund 30 Millionen Euro gezahlt, um ein vollständiges Verfahren zu vermeiden.
Das Unglück hatte sich bei strömendem Regen ereignet, während Familien auf dem Weg zum Sommerurlaub in Ligurien waren. Hunderte Menschen, die unter der Hochbrücke wohnten, wurden obdachlos. Die Reste des Bauwerks wurden abgerissen. Im August 2020 wurde eine neue, vom Stararchitekten Renzo Piano entworfene Brücke eingeweiht, die „Ponte San Giorgio“heißt. „Der Brückeneinsturz ist Genuas Ground Zero. Für uns Genueser war der Einsturz der Morandi-Brücke eine schreckliche Tragödie. Wir trauern um die Todesopfer, wir schauen aber gleichzeitig in die Zukunft“, sagte der Bürgermeister der Stadt, Marco Bucci.
Eine Generation in der Dauerkrise: Mehr als alles andere fürchten junge Menschen den Klimawandel – trotz des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der Corona-Pandemie. Gleichzeitig büßen junge Menschen in Europa immer mehr von ihrem Optimismus ein, der sie lange trotz vieler Belastungen positiv in die Zukunft blicken ließ, so die Jugendstudie der Tui-Stiftung. Noch nie hätten junge Menschen zwischen 16 und 26 Jahren die eigenen Perspektiven so negativ bewertet. In Deutschland erreichten die pessimistischen Erwartungen an die Zukunft einen Rekordwert – mit einem Anteil von 35 Prozent nach 29 Prozent 2017. In Frankreich legten die Pessimisten demnach von 33 auf 41 Prozent zu, in Griechenland von 27 auf 30 Prozent, in Polen von 18 auf 32 Prozent, in Großbritannien sogar von 29 auf 41 Prozent. 76 Prozent der Befragten sehen im Klimawandel die größte Bedrohung, vor dem Ukraine-Krieg (64 Prozent) und der Pandemie (50 Prozent). Dabei sind junge Menschen wenig ideologisch: Um unabhängig von russischer Energie zu werden, sollten Atomkraftwerke länger in Betrieb bleiben, sagten 44 Prozent. Mit 37 Prozent deutlich geringer fiel die Zustimmung zu Kohlekraftwerken aus.