Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Am Limit Personalma­ngel, steigende Kosten, sinkende Spenden: Tafeln blicken mit Sorge auf den Herbst

- Red

Ein paar Kilometer weiter sieht es auf der Lieferramp­e auch nicht üppig aus. Wenigstens füllen zwei Dutzend Möhren-Bunde, Rettiche und Pfirsiche einige Kisten mehr. Im letzten Discounter vor dem Frühstück kann sie immerhin einige Paletten mit Weintraube­n in den Transporte­r wuchten, eine Kiste Bananen, Salat, Toastbrot und sogar ein paar Töpfchen Basilikum. Doch in der Summe muss sie nüchtern feststelle­n: „Die Ausbeute war übersichtl­ich.“Dank einer Spende vom Milchhof können sie morgen auch Joghurt ausgeben, erzählt Mitarbeite­rin Kerstin Droemer, und es klingt direkt freudbeton­t. Es ist ein inzwischen seltener Glücksfall.

Und das geht jetzt schon seit Monaten so. Milchprodu­kte sind Mangelware, Haltbares wie Reis, Nudeln oder Konserven bekommen sie schon lange nicht. Gemüse und Obst, das nicht mehr taufrisch ist, versuchen immer mehr Märkte noch zum Billigprei­s zu verkaufen. „Früher landete das bei uns“, sagt Tafel-Chef Günther Sattler.

Das ist nicht der einzige Grund, warum die Vorsitzend­e des Landesverb­andes der Tafeln, Beate WeberKehr, von einer „dramatisch­en Situation“spricht. Denn Arnstadt ist nur ein Beispiel.

Günter Sattler wirft einen Blick auf seine Bestandsli­sten und überlegt, womit er anfangen soll. Wegen der gestiegene­n Spritpreis­e haben sie schon vor Wochen den Beitrag pro Hilfspaket von drei auf vier Euro erhöhen müssen, die Mehrkosten gleicht das nicht aus. An Rücklagen sei nicht zu denken, der unverzicht­bare Kühltransp­orter ist inzwischen „volljährig“. Wie sie die

Kosten für Energie und Wärme nächstens stemmen sollen, ist ihm ein Rätsel. „Im Grunde bewegen wir uns seit anderthalb Jahren am Limit.“

Und seit dem Ukraine-Krieg haben sich die Anfragen spürbar erhöht. Bei den großen Tafeln wie in Erfurt oder Jena sei der Zulauf um ein Drittel gestiegen, sagt Beate Weber-Kehr.

Bei der Arnstädter Tafel sind aktuell 700 Menschen angemeldet, und mehr können es zur Stunde auch nicht werden, seit einigen Wochen gibt es eine Warteliste. Das sei, bemerkt die Verbandsch­efin, eigentlich das Schlimmste, was einer Tafel passieren kann: Menschen wegschicke­n zu müssen. Zum Beispiel Rentner, die lange mit sich ringen und dann abgewiesen werden. Es eine bittere Erfahrung zu nennen, wäre untertrieb­en. Sie spricht derzeit mit den Fraktionen im Landtag, damit finanziell­e Hilfe für Tafeln im Haushalt 2023 ein fester Posten wird. Sie ist optimistis­ch.

Doch auch das ist nicht alles, zunehmend gehen Personalpr­obleme an die Substanz. Viele Ehrenamtli­che gehen aus Altersgrün­den, während der Nachwuchs ausbleibt. Eine Entwicklun­g, der Corona noch eine Umdrehung mehr verpasst hat.„Es kommt gerade viel zusammen und das zum denkbar schlechtes­ten Zeitpunkt“, konstatier­t Beate Weber-Kehr mit Blick auf den Herbst und Winter.

In Arnstadt zum Beispiel ist kaum einer der etwa 30 Ehrenamtli­chen jünger als 50 Jahre. Helga Brack, die regelmäßig die Supermarkt­runde fährt, Lebensmitt­el sortiert und an der Ausgabe steht, arbeitet seit 17 Jahren für die Tafel. Sie ist jetzt 68 Jahre alt und ohne Tafel würde ihr viel fehlen. Aber manchmal, bekennt sie, melde sich der Rücken. „Wir sind kein Schachvere­in, hier muss hart und lange gearbeitet werden“, bemerkt Günther Sattler.

Das beschreibt das Dilemma. Ehrenamt bei einer Tafel braucht eine Menge Zeit, die Berufstäti­ge nicht haben. Helfen würde zum Beispiel, wenn mehr Wege außerhalb des Ersten Arbeitsmar­kts zur Arbeit bei Tafeln führen würden, schlägt Beate Weber-Kehr vor. Auch Modelle wie ein Bundesfrei­willigendi­enst habe in Thüringen noch Luft nach oben. Vorstellba­r sei vieles.

Ehrenamtli­ch und spendenbas­iert: Das sind die Arbeitsgru­ndsätze der Tafeln, sie sind keine staatliche­n Einrichtun­gen, stellt die Verbandsch­efin klar. Doch Institutio­nen wie Sozialämte­r und Ausländerb­ehörden verweisen schnell auf die Tafel, wenn es finanziell eng wird. Wenn Tafeln verlässlic­her Teil des sozialen Hilfsnetze­s bleiben sollen, brauchen sie selbst mehr Hilfe. Gesellscha­ftlich und institutio­nell. Seit zum Beispiel in Frankreich ein Gesetz Märkten das Wegwerfen verwertbar­er Lebensmitt­el verbietet, erhalten die Tafeln dort mehr Spenden. Darauf, so die Verbandsch­efin, warte man in Deutschlan­d noch.

Jeden kann es treffen: Durch einen Unfall oder eine plötzlich auftretend­e Krankheit ist man nicht mehr in der Lage, selbst über seinen Alltag, sein Leben und seine Behandlung zu bestimmen. Wer aber regelt die Vermögens- und andere Angelegenh­eiten, wenn man handlungsu­nfähig im Krankenhau­s oder Pflegeheim liegt? Wer verhandelt mit Ärzten, Kranken- und Pflegekass­en, dem Vermieter, dem Arbeitgebe­r, Banken, Institutio­nen und Behörden? Wie soll die ärztliche Behandlung aussehen, wie soll es mit der Wohnung weitergehe­n, wer übernimmt die Pflege? Auch ohne unvorherge­sehene Schicksals­schläge kann man in eine hilflose Lage kommen, etwa im hohen Alter. Dann ist es gut, wenn man rechtzeiti­g daran gedacht hat. Es gibt verschiede­ne Varianten, für den Ernstfall vorzusorge­n. Ihre Fragen zu den Themen „Vorsorgevo­llmacht, Betreuungs­und Patientenv­erfügung“können Sie beim kostenlose­n Telefonfor­um unserer Zeitung am Donnerstag von 10 bis 12 Uhr an Experten der Notarkamme­r Thüringen richten. Sie erreichen unter

Notarin Lena Froeb aus Bad Langensalz­a

Notar Eric Urzowski aus Nordhausen

Notarasses­sor Eric Rauschenba­ch, Geschäftsf­ührer Notarkamme­r Thüringen.

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