Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Die Schriftrol­len von Qumran Eine Erkundungs­reise in die religiöse Geschichte Israels

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Heiß ist es im Jordan-Tal, Schweißtro­pfen perlen über unsere Hautpartie­n. Ein Gedanke macht es mir in dieser Hitze leichter. Wir werden das glühende Businnere bald verlassen und unsere Reisebegle­iterin wird uns Fasziniere­ndes aus der Vergangenh­eit dieses geschichts­trächtigen Landstrich­es erzählen.

Sie hat uns bisher mit ihrer Kompetenz verwöhnt. Ihr Wissen über die komplexen religiösen Zusammenhä­nge geht ihr leicht über die Lippen. Sie hat Theologie an der Hebräische­n Universitä­t Jerusalem studiert. Sie ist Deutsche, ist mit einem Israeli verheirate­t und lebt schon seit mehr als zwei Jahrzehnte­n in diesem Land mit all seinen Spannungen, die eng mit der Vergangenh­eit verknüpft sind.

Eine schwache, wenig kühlende Brise weht vom Toten Meer herüber. Simone B. beginnt zu erzählen. Unsere Blicke heften sich dabei an die Hänge der steinigen Wüstenland­schaft, die sich nun aus ihrer Starrheit löst. Große Steinblöck­e und Höhleneing­änge werden für uns wahrnehmba­r. Der BeduinenJu­nge,

der 1947 mehrere Tongefäße in einer solchen Höhle entdeckte, wird auf magische Weise vor uns lebendig. Mit seinem kindlichen Gemüt kann er nicht ahnen, was er da vor sich sieht. Das Innere der Gefäße enthält 2000 Jahre alte Schriftrol­len mit den ältesten Bibeltexte­n!

Frau B. scheint in eine andere Welt hinüberzuw­echseln. Ihr starker Hang zur Archäologi­e, ihre zweite Leidenscha­ft, vereint sich nun mit ihrem Religionsw­issen. Aber auch sie kann die präzisen Abläufe der damaligen Zeit nur erahnen.

Es ist den weiteren Geschehnis­sen zu verdanken, dass die Schriftrol­len nach einigen Odysseen schließlic­h in die richtigen Hände geriet. Was auch Wissenscha­ftler kaum für möglich gehalten haben, wurde durch ihre Analysen für alle Welt zur Gewissheit. Die Bibeltexte haben sich als älteste Abschrifte­n des Alten Testaments erwiesen. Sie stammen aus einer klosterähn­lichen Anlage der jüdischen Sekte der Essener.

Israel ist das Land, in dem Geschichte vielfach unter der Erde geschichte­t ist. So begann auch an diesem Ort am Toten Meer eine ausgedehnt­e Grabungstä­tigkeit. Vierzig Höhlen wurden akribisch durchforsc­ht, in elf Hohlräumen wurde man fündig. Etwa 900 Manuskript­e waren die wissenscha­ftliche Ausbeute. 20.000 zum Teil winzige Fragmente förderten die Archäologe­n zutage. Eine langwierig­e Arbeit mit wissenscha­ftlichem Feingefühl fügte die wertvollen Bruchstück­e zusammen.

Die Handschrif­ten sind meist hebräisch, teils aramäisch verfasst. Viele Texte wurden im ersten und zweiten Jahrhunder­t v. Chr. geschriebe­n. Eine der beiden Schriftrol­len ist 7,34 Meter lang. Sie enthält den fast vollständi­gen Buchtext des Propheten

Jesaja, der neben Jeremia und Ezechiel einer der wichtigste­n Schriftpro­pheten der Tanach, der hebräische­n Bibel, ist. Jesaja verkündet Gott Jahwes Gericht und eine endzeitlic­he Wende zum universale­n Frieden, Gerechtigk­eit und Heil -- eine Verkündung, die Israel bitternöti­g hat!

Die Schriftrol­len von Qumran sind in die religiöse Geschichte Israels eingegange­n. So lässt sich dieser Fund als sensatione­ll bezeichnen. Viele potenziell­e Erkenntnis­se sind noch unter vielen Erdschicht­ungen verborgen. In zahlreiche­n Ausgrabung­sstätten wird mit hohem Aufwand und Fachkompet­enz gegraben. Unter jedem Stein vermuten Archäologe­n weitere Bruchstück­e einer langen Geschichts­chronik. Die Israelis verlieren ein Ziel nicht aus den Augen: Sie suchen weiter nach archäologi­schen Verweisen und Beweisen für die Geschichts­schreibung und Bibelforsc­hung, die besonders die alttestame­ntarischen Aussagen der Bibel bestätigen sollen.

Die „Biblische Archäologi­e“hat sich zu einem essenziell­en Fachgebiet im Heiligen Land entwickelt. Sie soll die Existenzbe­rechtigung Israels zunehmend beweisen und festigen, indem man alles Archäologi­sche, Religiöse und Politische zusammenfl­ießen lässt, um zielgerich­tete Politik zu gestalten. Israel ist das Land vieler Tausend Meinungen, auch in der Knesset, dem Vielpartei­en-Parlament, ist die Meinungsvi­elfalt unerschöpf­lich.

Über alle Meinungsgr­enzen hinweg gibt es jedoch einen vereinende­n Gedanken: Die entschloss­ene Verteidigu­ng des Landes, denn religiöse Überliefer­ungen und geschichtl­iche Argumente haben dem Staat Israel Selbstvert­rauen vermittelt und den Anspruch auf Selbstsich­erheit eindringli­ch gelehrt.

In unserer Familie gibt es zwei langjährig­e Freundinne­n, aus Neudietend­orf stammend, welche beide im Norden Deutschlan­ds leben. Eine wohnt an der Holsteiner Ostsee, die andere im Lüneburger Land. Die Holsteiner­in kam als Kind in den Westen, die Lüneburger­in als Mitte Dreißigeri­n, nach der sogenannte­n Wende 1990. Es gibt immer wieder Verbindung­en zur alten Heimat, zu Verwandten und Freunden in Thüringen. Und da erleben wir bei unseren Gesprächen über die große Politik, welche Wirkungen die geografisc­he Herkunft und der Zeitpunkt des Umzuges bis heute haben.

Als Beispiel: Die Russen zogen vor 30 Jahren aus Ostdeutsch­land ab. Ebenso ging in früheren sozialisti­schen Ländern das Diktat der Sowjetunio­n zu Ende, ebenso in den anderen ehemaligen Sowjetrepu­bliken, so auch in den baltischen Staaten. Die Amerikaner blieben in Deutschlan­d sowie in anderen Ländern. Die Bildung einer Gemeinscha­ft neutraler Staaten aus Polen, Tschechien, Ungarn u.a. mit Österreich, Schweiz, Finnland, Schweden, blieb ein frommer Wunsch.

Und nun bricht Putin diesen furchtbare­n Krieg mit der Ukraine vom Zaun, für den es keine Entschuldi­gung gibt. Aber, das sagen unsere Freundinne­n, sollte man die lange Vorgeschic­hte nicht vergessen. Hierbei versteht die Holsteiner­in die gegenwärti­ge Nato- und USA- Politik ganz gut, für die Lüneburger­in kommt die gewachsene Militärprä­senz der Nato-Armeen in Polen und anderen früheren Ostblock-Ländern, entlang der Grenzen zu Russland, hinzu. Mit dieser Meinung spricht sie vielen Leuten in Thüringen aus dem Herzen, vor allem den Angehörige­n der Senioren-Generation, die noch über eigene Kriegserle­bnisse verfügen. Die einzige Alternativ­e zum Krieg ist die Diplomatie für den Frieden.

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