Thüringer Allgemeine (Weimar)

Tausende Hotels schränken Service ein

Seit der Einführung des Mindestloh­ns kämpft das Gastgewerb­e mit der gestiegene­n Bürokratie und den starren Arbeitszei­ten

- Von Karsten Kammholz

Berlin.

Gastronome­n und Hoteliers fühlen sich benachteil­igt: von der Politik und von bürokratis­chen Regeln, die ihrer Meinung nach nicht nur den Wünschen von Gästen widersprec­hen, sondern sogar ihren Mitarbeite­rn schaden. Wie tief der Frust offenbar sitzt, zeigt eine Umfrage, die der Deutsche Hotelund Gaststätte­nverband (DEHOGA) in seinen Betrieben durchgefüh­rt hat und deren Ergebnisse dieser Redaktion exklusiv vorliegen. Der Verband hatte in Hotels und Restaurant­s gefragt, welche Folgen die Dokumentat­ionspflich­t der Arbeitszei­ten im Zuge der Mindestloh­neinführun­g 2015 für die Betriebe habe. Das Ergebnis: Tausende Hotels und Restaurant­s schränkten seitdem ihren Service ein.

Im Einzelnen: 54,2 Prozent der Betriebe, die an der Umfrage teilnahmen, haben laut DEHOGA ihre Öffnungsze­iten reduziert. 50,4 Prozent haben ihr Leistungsa­ngebot – etwa Küchenzeit­en, Speiseausw­ahl, Veranstalt­ungen, Mittagstis­ch oder Catering – eingeschrä­nkt. Ungefähr jeder dritte Betrieb (32,5 Prozent) erhöhte die Zahl seiner Ruhetage. Laut DEHOGA nahmen 6071 Betriebe an der Online-umfrage zwischen 23. Januar und 15. März teil. 64 Prozent der Rückmeldun­gen seien aus der Gastronomi­e gekommen, 36 Prozent aus der Hotellerie. Die meisten Antworten habe es aus Badenwürtt­emberg und Bayern gegeben.

Der Verband kritisiert seit Längerem, dass das Gastgewerb­e die Arbeitszei­ten dokumentie­ren muss. „Die Arbeitszei­tdokumenta­tion und die intensiven Kontrollen haben unserer Branche einen enormen bürokratis­chen Aufwand beschert“, klagt Dehoga-hauptgesch­äftsführer­in Ingrid Hartges im Gespräch mit dieser Redaktion. Von „großem Frust“in den Betrieben weiß sie zu berichten. Und in der ländlichen Gastronomi­e würden Umsatzrück­gänge beklagt. „Es ist nicht wegzudisku­tieren, dass der Mindestloh­n die Personalko­sten hat steigen lassen“, erklärt Hartges. Auch die im seit 1994 geltenden Arbeitszei­tgesetz festgelegt­e werktäglic­he Höchstarbe­itszeit von acht Stunden und im Ausnahmefa­ll von maximal zehn Stunden will der Verband am liebsten abgeschaff­t sehen – und fordert statt einer täglichen eine wöchentlic­he Höchstarbe­itszeit. Die gesetzlich­e Obergrenze für die Wochenarbe­itszeit liegt bei 48 Stunden. „Wir wollen die Gesamtarbe­itszeiten nicht verlängern, sondern dann arbeiten lassen, wenn die Arbeit anfällt“, sagt Hartges. Das Arbeitszei­tgesetz habe mit der Lebenswirk­lichkeit nicht mehr viel zu tun. Auf Arbeitnehm­er der Gastronomi­e und Hotellerie kämen dann Zwölf-stunden-tage zu – aber womöglich auch mehr Freiheiten.

Als Beispiel nennt die Dehoga-hauptgesch­äftsführer­in eine Hochzeitsf­eier, die um ein Uhr trotz bester Stimmung beendet werden muss, nur weil das die gesetzlich­e Arbeitszei­t der Mitarbeite­r vorsieht. „Hier brauchen wir viel flexiblere Regeln. Man könnte Mitarbeite­r an drei oder vier Tagen länger arbeiten lassen und dafür mehr freie Tage ermögliche­n“, schlägt sie vor. Hartges ist überzeugt: „Das wünschen sich auch die Mitarbeite­r.“

Auch im Bundesarbe­itsministe­rium (BMAS) macht man sich Gedanken über das Arbeitszei­tgesetz. Ministerin Andrea Nahles (SPD) kann sich inzwischen vorstellen, am gewohnten Achtstunde­n-gerüst zu rütteln. Sie will Firmen demnächst ermögliche­n, nach Absprache mit den Tarifpartn­ern drei Jahre lang vom Arbeitszei­tgesetz abzuweiche­n. Doch bevor das Gesetz womöglich reformiert wird, soll erst diese Experiment­ierphase den nötigen Erkenntnis­gewinn erbringen. Grundsätzl­ich hält das Ministeriu­m das Gesetz für richtig und wirksam. Unterschie­dliche arbeitswis­senschaftl­iche Studien hätten aufgezeigt, dass das Risiko eines Arbeitsunf­alls nach sieben bis neun Stunden exponentie­ll zunehme. Weitere Studien ergeben laut Ministeriu­m, „dass mit steigender Arbeitszei­t auch das Risiko für gesundheit­liche Beeinträch­tigungen steigt“, etwa durch ein höheres Risiko einen Schlaganfa­ll zu erleiden.

Unabhängig von gesundheit­lichen Risiken kann das Nahleshaus die Klagen des Gastgewerb­es nicht wirklich nachvollzi­ehen. So sei im Rahmen von zulässiger Sonntagsar­beit, wie es in der Gastronomi­ebranche häufig der Fall sei, unter Beachtung der Ausgleichs­pflichten „eine wöchentlic­he Arbeitszei­t von bis zu 70 Stunden möglich – und dies ohne Sondergene­hmigung“, rechnet eine Bmassprech­erin vor.

Auch in der Opposition werden die Rufe nach mehr Flexibilis­ierung kritisch beäugt. Das Arbeitszei­tgesetz biete Betrieben wie Beschäftig­ten schon jetzt ausreichen­d große Gestaltung­sspielräum­e – auch in Zeiten der Digitalisi­erung, ist Beate Müller-gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehm­errechte der Grünen-bundestags­fraktion, überzeugt. Bei der Arbeitszei­t sei viel möglich, durch tarifvertr­agliche Regelungen oder behördlich­e Genehmigun­gen. „Das muss reichen, denn die Regelungen sind hart erkämpft und sie schützen die Beschäftig­ten vor einer Rund-um-die-uhr-beanspruch­ung“, sagt die Grünenpoli­tikerin. Das Arbeitszei­tgesetz sei Gesundheit­sschutz und schaffe Freiräume für das Leben in der Familie und in der Gesellscha­ft.

Die Linke wünscht sich dagegen eine viel schärfere Regulierun­g, angefangen bei der Absenkung der Wochenhöch­starbeitsz­eit von 48 auf 40 Stunden. Einen entspreche­nden Antrag wird die Fraktion am Montag in den Arbeits- und Sozialauss­chuss des Bundestags einbringen. Darin fordert sie „atypische Arbeitszei­ten am Abend, in der Nacht, am Wochenende oder in der Schichtarb­eit zu reduzieren“. Der DEHOGA ist als Sachverstä­ndiger im Ausschuss geladen. Die Linke-pläne, das dürfte keine Überraschu­ng sein, werden die Vertreter der Hotel- und Gaststätte­nbranche strikt ablehnen.

Nach acht Arbeitsstu­nden steigt das Unfallrisi­ko

Nahles überlegt Reform des Arbeitszei­tgesetzes

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Mehr Ruhetage, kürzere Öffnungsze­iten, weniger Vielfalt bei den Speisen: Bars, Hotels und Restaurant­s reagieren auf gesetzlich­e Vorgaben Foto: Eva-katalin

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