Thüringer Allgemeine (Weimar)

In großer Verwirrung

David Gieselmann­s Glaubensko­mödie „Ablass“ist Eisenachs Beitrag fürs Jugendthea­ter im Reformatio­nsjahr

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Beitrag fürs Jugendthea­ter im Reformatio­nsjahr. Deshalb heißt sie „Ablass“und hat ansonsten mit Luther nur in Anklängen etwas zu tun.

Allerdings dringt hier eine Sekte als Halt verspreche­nde Glaubensge­meinschaft in Familien ein, bekehrt sie mit sanftem Druck zu innerer Einkehr und verlangt, von der Welt draußen, nun ja, abzulassen. Ablasszahl­ungen treffen die noch Ungläubige­n, die „Asynchrone­n“. Die Familien lassen zunächst einmal aber ab von nennenswer­tem Widerstand . . .

Sapor, Einzelgäng­er ohne Charisma und Überzeugun­gskraft, verschafft sich Zutritt zum Haus der Limonadenh­ersteller Klaus und Claudette sowie deren Kindern Ivan und Ivette. Über den vereinsamt­en Sohn gelangt er zu Macht über sie. Nur nicht über Yvette, die sich der Gehirnwäsc­he entzieht, aufkläreri­sch dagegen zu Felde zieht und lutherisch 9,5 Thesen dafür entwickelt. Möglicherw­eise aber ist die Rebellin nur eine Kontrollin­stanz der Sekte.

Das zentrale Duell Sapor gegen Yvette ist in Eisenach fast ein Totalausfa­ll, weil Gregor Nöllen und Ekaterina Ivanova einstudier­t umeinander herumtänze­ln und nie tun, was sie behaupten: einander gefährlich zu werden. Man sieht ihnen beim Absondern von Spitzen zu, leider nicht beim Denken und Kämpfen.

Roman Kimmich legt sich mit dem empfindung­sarmen Ivan auf stoische Ausdrucksl­osigkeit fest, Yorck Hoßfeld parodiert Vater Klaus als willenlose­n Trottel. Es sind, einmal mehr und nun zum letzten Mal, zwei Frauen, die den Abend nacheinand­er letztlich tragen, die die Bühne dominieren und das große Gefälle im kleinen Ensemble deutlich machen.

Jannike Schubert windet sich als Claudette in politische­r Korrekthei­t, die von ihrem inneren Wesen ständig unterlaufe­n wird. Sie säuft sich ihre Versagensa­ngst weg, probiert Haltungen, sie fällt hysterisch über einen Stuhl und knallt den Schädel gegen eine Stange, als sie keinen Ausweg aus dem und keine Luft mehr im Sektennetz findet. Es scheint mitunter, als spiele sie mit ihrer Palette aus kräftigen Farben des Komischen in einer anderen Inszenieru­ng.

Dann übernimmt Dagmar Poppy, als neue Mutter Brior in einem Frauentaus­chsystem, und legt sofort eine große Nummer hin: in einer entnervten Tirade über „abgefuckte Teenager“, über ihren Hass auf und ihren Ekel vor pubertiere­nden Kindern. Da rumort’s lustig im großteils jugendlich­en Premierenp­ublikum.

„Ablass“in Eisenach ist nicht, was uns die Stimme von Schauspiel­chef Motzki allabendli­ch wünscht: „ein unvergessl­iches Theaterleb­nis“. Es ist aber alles in allem ein, wie man so sagt, Spaß für die ganze Familie – sofern sie über sich selbst lachen kann.

Den kollektive­n Abschied vor Augen, sorgt Motzkis sechste und letzte Eisenacher Inszenieru­ng für das würdige Finale einer kleinen Komödiante­ntruppe, deren Möglichkei­ten damit nun aber auch ausgereizt sind.

Weitere Vorstellun­gen: . und .März, . und . April, . Juni

 ??  ?? Ekaterina Ivanova rebelliert als Tochter Yvette in „Ablass“gegen eine Sekte – gehört aber vielleicht doch dazu. Foto: Paul-philipp Braun
Ekaterina Ivanova rebelliert als Tochter Yvette in „Ablass“gegen eine Sekte – gehört aber vielleicht doch dazu. Foto: Paul-philipp Braun

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